Wie genau entsteht eigentlich Glück …?!
Eine Handvoll sehr rationaler Perspektiven auf ein höchst emotionales Thema
Glück … Was genau ist das eigentlich …?! Wir alle streben danach, glücklich zu sein. Gleichzeitig erscheint uns das Glück so flüchtig und unfassbar wie eine kühle Brise an einem heißen Sommertag … Kaum haben wir es vernommen und dem Klang seiner Wellen in unserem Körper gelauscht – schon ist es wieder fort und verschwunden.
Was genau aber ist … Glück?!
Und vor allen Dingen: Wie lässt es ganz bewusst sich herstellen oder fördern …?!
Es gibt viele verschiedene Herangehensweisen, den tieferen Sinn hinter unseren emotionalen Empfindungen zu hinterfragen – und wie das Wissen darum potenziell nutzen können, unser eigenes Leben und Erleben glücklicher zu gestalten.
Meine Perspektive auf dieses Thema ist eine sehr rational evolutionspsychologische. Sie mag am Anfang vielleicht ein wenig verkopft klingen. Genau ihre kühle Logik jedoch ermöglicht es uns, das Phänomen „Glück“ von Grund auf zu erfassen und zu durchleuchten. Je tiefer wir durchdringen, was das Empfinden von Glück uns sagen will, desto leichter können wir es bewusst und aktiv in unser Leben einladen.
Was genau ist Glück …?!
In meinem Verständnis unserer menschlichen Grundgefühle definiere ich sechs von diesen: Freude, Ärger, Traurigkeit, Angst, Lust und Überraschung. In meinen Augen repräsentieren diese sechs Grundgefühle evolutionär verankerte Strategien zum Umgang mit spezifischen Situationen des Lebens. Alle anderen Gefühle, die wir kennen, gehen auf eines oder mehrere dieser Grundgefühle zurück.
Ähnlich wie unsere Augen, Hände oder unser Verdauungssystem wurde das, was wir heute „Gefühle“ nennen, vor Millionen von Jahren in unseren Vorfahren angelegt und im Laufe der Evolution seither immer weiter verfeinert und ausgebaut. Unsere Gefühle sind also – in den Augen der Evolutionspsychologie – bei weitem mehr als nur ein Hinweis darauf, wie es uns gerade geht. Sie sind Werkzeuge, die uns dabei helfen können, unser Leben bewusster, intensiver und nicht zuletzt glücklicher zu gestalten.
Das, was wir „Glück“ nennen, zeigt sich vor diesem Hintergrund zunächst erstmal als eine hochgradig intensive Form von Freude. Im Gegensatz zum Ärger, der uns dabei hilft, unangenehme Situationen anzupacken und zu ändern, oder zur Traurigkeit, die uns genau das annehmen läßt, was wir eben nicht ändern können, liegt der evolutionäre Nutzen der Freude nicht ganz so offensichtlich auf der Hand. Das ist schade. Schließlich ist es gerade die Freude, die uns zeigt, was wir konkret tun können, um ein Mehr an Glück und Erfüllung in unserem Leben möglich zu machen.
Evolutionspsychologisch betrachtet ist das Empfinden von Freude ein klarer Hinweis darauf, dass unser System auf einer existenziellen Ebene aus einem Mangel heraus genährt wurde. Freude flutet unser System immer dann, wenn wir Erfahrungen machen, die dazu führen, dass Bedürfnisse unseres Körpers oder unserer Psyche erfüllt werden.
Wann genau empfinden wir Freude? Und warum?
Ein kühles Glas klaren Wassers an einem heißen Tag … Die Wärme unserer Wohnung nach einer Radtour durch grauen Nieselregen … Der Anruf eines Freundes an einem anstrengenden oder langweiligen Tag … Das Finden einer unerwarteten Antwort auf eine quälende Frage. Ein überraschendes Kompliment … Das Verschmelzen mit unserem Liebespartner in erotischer Lust … All dies erfüllt uns unwillkürlich mit Freude und Glück!
Freude und Glück stellen sich immer dann ein, wenn Dinge passieren, die unsere Bedürfnisse erfüllen. Wollen wir die Freude und das Glück in unserem Leben mehren, ist es hilfreich, diese Bedürfnisse unseres Körpers und unserer Psyche zu erkennen, zu verstehen und schließlich als einen integralen Teil unseres Daseins auf Erden anzunehmen.
Worin genau bestehen die Bedürfnisse unseres Körpers und unserer Psyche?
Die grundlegenden Basis-Bedürfnisse unseres Körpers bestehen vorrangig aus Materie (Kohlenhydrate, Proteine, Vitamine, Wasser, Sauerstoff etc.) und Energie (spezifische Ausprägungsspektren von Wärme, Licht, chemischer Energie, Druck und Gravitation). Weiterhin zu unseren körperlichen Bedürfnissen gezählt werden: Wahrnehmung, Bewegung, Ruhe und Körperkontakt.
„Bedürfnisse“ sind etwas anderes als „Wünsche“. Dieser Unterschied wird oft übersehen, ist meiner Auffassung nach jedoch überaus wichtig für unser Verständnis von uns selbst und unseren Mitmenschen. „Bedürfnisse“ sind etwas existenziell Notwendiges. Kurz gefasst: Sind diese akut oder gar chronisch unerfüllt, dann führt dieser Mangel über kurz oder lang zu subtilen bis unübersehbaren Störungen des Systems. Ein bekanntes physisches Phänomen ist der Skorbut, der über Jahrtausende hinweg unzähligen Seeleuten die Gesundheit oder gar das Leben kostete. Heute wissen wir: Was diesen Menschen fehlte, war schlicht Vitamin C.
Doch nicht nur unser Körper braucht Nahrung. Auch unsere Psyche hat Bedürfnisse. Auch diese führen bei anhaltendem Mangel in meinen Augen zwingend zu Störungen. Allerdings sind die Bedürfnisse unserer Psyche bis heute bei weitem nicht so gut erforscht wie die unseres Körpers.
Ich habe in den vergangenen Jahren viel Zeit und Herzblut in die Frage gesteckt, worin genau die Bedürfnisse unserer Psyche bestehen; was es braucht, um sie zu nähren, sie gesund und stark zu halten. Meine heutige Nomenklatur psychischer Bedürfnisse umfasst 16 psychologische „Grundnährstoffe“. Ich nenne sie: Wohlbefinden, Sicherheit, Leichtigkeit, Orientierung, Wirksamkeit, Freiheit, Intensität, Entwicklung, Gemeinschaft, Anerkennung, Gerechtigkeit, Verbundenheit, Selbsterkenntnis, Sinn, Integrität und Selbstentfaltung.
Wenn wir uns diese Liste anschauen, wird schnell klar, dass wir uns diese Art von „Nährstoffen“ nicht auf direktem Wege zuführen können. Anders als Vitamin C, Magnesium oder Selen gibt es Sicherheit, Wirksamkeit, Gemeinschaft oder Selbsterkenntnis in unserer Welt nicht in Reinform als Pulver zu kaufen. Es geht noch nicht einmal um so etwas wie Fakten. Relevant ist nicht, wie sicher, frei oder gerecht das Leben eines Menschen objektiv betrachtet ist, sondern allein die Frage, wie sicher, frei oder gerecht sich dieses Leben ganz subjektiv anfühlt. Die Welt unserer Psyche besteht (für manche ist dies ein kleiner Schock) nicht aus vermeintlich objektiven Tatsachen, sondern allein aus subjektiven Eindrücken.
Sei es die ausgelassene Feier mit Freunden oder die Tiefe der Begegnungen in einem Tantra-Workshop, sei es die Umarmung unseres Kindes oder der Zustand des frischen Verliebtseins … All diesen Erfahrungen ist gemeinsam, dass wir uns in ihnen und durch sie physisch wie psychisch zutiefst genährt fühlen.
Welche der psychischen Nährstoffe genau es sein könnten, die unsere persönlichen Erfahrungen so wertvoll machen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Die Prägungen unserer Kindheit und unseres Entwicklungsweges als Menschen bis hier her spielen ebenso eine Rolle wie unsere aktuelle Lebenssituation. Höchstwahrscheinlich kommt hier auch genetischen Faktoren eine gewisse Bedeutung zu.
Je besser ich daher meine eigenen Bedürfnisse kenne, desto klarer kann ich mir die Frage stellen, was genau ich tun könnte, um diese Bedürfnisse konkret in meinem Leben zu erfüllen. Ich kann mich fragen: In welchen Situationen meines Lebens erfahre ich mich als sicher und geborgen, als frei und selbstbestimmt oder als willkommener Teil einer Gemeinschaft? Ich kann mich fragen: In welchen Erfahrungen fühle ich mich zutiefst lebendig, von meinen Mitmenschen wirklich gesehen und geachtet oder auf dem Weg zu meinen eigenen Zielen?
Es ist kein Zufall, dass eben diese Erfahrungen uns glücklich machen. Sie erfüllen uns mit Freude, weil unser Körper und/oder unsere Psyche in ihnen existenziell wertvolle Nahrung erhält.
Kommen wir nun zu der Frage: Wie können wir dieses Wissen um unsere Psyche und ihre Bedürfnisse nutzen, um unser eigenes Leben glücklicher und erfüllter zu gestalten…?! Hierfür habe ich zum Abschluss dieses Textes für dich zwei konkrete Empfehlungen parat, die dir vielleicht nützlich sein können:
Um mehr Glück und Freude in dein Leben einzuladen, erkenne zunächst, dass Freude und Glück sich in deinem Leben niemals zufällig einstellen. Das Glück, das du erlebst, ist ein deutliches Signal deines Systems an dich. Dieses Signal sagt dir: Das, was du hier erlebst, ist wertvoll, ist nährend! Dein System lädt dich ein, genau hinzuschauen und hinzuspüren, was es ist, das dich im Hier und Jetzt nährt. Auf dieselbe Weise können auch vergangene Erfahrungen des Glücks dir heute dienlich sein: Weil sie dir die Chance geben, zu erkennen, welche Art von Situationen und Erfahrungen es genau sind, die dich nähren, aufladen oder erfüllen.
Je besser du dich selbst und deine Bedürfnisse kennst und angenommen hast, desto klarer wird dir, was du selbst konkret tun kannst, um einem Mangel, den du möglicherweise momentan in dir spürst, aktiv und bewusst entgegenzuwirken.
Der zweite Tipp, den ich dir heute geben möchte, erscheint auf Anhieb vielleicht ein wenig verrückt. Und doch ist er überaus wirksam. Gerade deswegen mag ich ihn so gerne.
Erinnere dich: Der evolutionäre Hintergrund und Nutzen deiner Empfindungen von Freude und Glück liegt darin, dich zu motivieren, das was du gerade erlebst, zu wiederholen. Unser Unterbewusstsein ist klug. Es weiß: Das, was uns heute nährt und erfüllt, könnte uns auch in Zukunft nähren und erfüllen. Kurz gesagt führt die Ausschüttung unserer Glückshormone dazu, dass das, was du jetzt gerade erlebst und erfährst, besonders tief und fest in deinem Gehirn verankert wird. Freude lässt uns lernen, was funktioniert, was uns guttut und nützt. Allein darum erleben wir sie überhaupt.
Wenn wir den Schritt wagen, uns diese unterbewusste Lernerfahrung bewusst zu machen, können wir damit beginnen, sie aktiv und bewusst zu verstärken. Dazu braucht es übrigens gar nicht viel …
Wenn du das nächste Mal bemerkst, dass dein Körper akut von Glückshormonen geflutet wird, weil du eine Erfahrung machst, die dir ganz offensichtlich guttut, gehe einen kleinen Schritt weiter und freue dich ganz bewusst über deine Freude.
Die Freude über deine Freude führt dazu, dass dein System die Ausschüttung weiterer Glückshormone in Gang setzt. Dieselbe nährende Erfahrung bekommt dadurch einen kostenlosen Lern-Booster hinzu, der nicht nur deine Stimmung auf eine sehr angenehme Weise steigert, sondern darüber hinaus dazu führt, dass du dir das, was dir jetzt gerade dermaßen guttut, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit in deiner Zukunft wieder in dein Leben holen wirst. Auf diese Weise fördert das bewusste Empfinden von Glück in der Gegenwart in jeder Beziehung die Chancen auf zukünftige Freude und Glück.
Welchen schöneren, leichteren und geschmeidigeren Weg könnte es geben, dein eigenes und das Glück der Welt zu mehren …?!
Text: Volker Schmidt
Webseite: http://liebe-auf-augenhoehe.de