Die sexuelle Lust kann in jedem Lebensalter eine Quelle der Freude, der Vitalität und Gesunderhaltung sein.

Seit etwa 20 Jahren bin ich als Frauenmasseurin und DGAM-Dozentin für Sexualkultur im Bereich der weiblichen Sexualität tätig. Ich bin nun bald 70 Jahre alt. Ich schreibe also auch aus eigener Erfahrung. Und ich widme mich hier in erster Linie der weiblichen Sexualität.

Müssen wir es als „normal“ hinnehmen, dass die Lust abnimmt, oder ist das nur ein weitverbreiteter Irrtum?
Wie verändert sich die Sexualität mit zunehmendem Alter?
Kann ich meine Lust bis ins hohe Alter erhalten?

Die sexuelle Energie ist eine der Hauptfarben unserer Lebensenergie, ähnlich etwa wie Wille, Tatkraft, Wachstum und Entwicklung. Sie begleitet uns durch unser ganzes Leben. Und in jeder Lebensphase braucht es für den Umgang damit sowohl eigene Impulse als auch ermunternde Anregungen von außen. Wir können diese Farben unserer Lebensenergie ganz aktiv pflegen. Und wir können sie auch einschlafen oder brach liegen lassen. 
Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass jedes Lebensalter ganz spezielle Geschenke und Herausforderungen rund um die weibliche Lust mit sich bringt.

Sexuelle Selbstliebe

Die sexuelle Selbstliebe ist der Königinnenweg für jede Frau, um ihre Lust zu kennenzulernen und zu erforschen. Rauszufinden, welche Körperbereiche besonders erregbar sind. Sie kann in ihrem Tempo mit Atem, Stimme und Bewegung experimentieren. Sie kann lernen, das Gefäß für ihre sexuelle Energie zu erweitern und hohe Erregung zu halten. Das ist dann die hohe Schule des Orgasmustrainings mittels Feueratem, Beckenschaukel und Orgasmuskontrolle.
Wenn frau diese Fähigkeiten gelernt und geübt hat, werden sie ihr auch im hohen Alter erhalten bleiben. Der Körper vergisst nicht. 
In unseren Trainings sind die Frauen zwischen 25 und 75 Jahre alt, und alle profitieren
davon.
Die sexuelle Selbstliebe kann auch in einer Gruppe, im vertrauten Kreis von Frauen gefeiert werden. Was ich an solchen gemeinsamen Selbstliebe-Ritualen so sehr schätze, ist zum einen der rituelle, klare Rahmen, der uns als Gruppe zusammenhält und auch schützt. Und ich kann und darf mich inspirieren und mitreißen lassen von der Kraft und der Lust der anderen Frauen. Für mich ist es immer auch ein Geschenk, mitzuerleben, wie andere Frauen mit ihrer Körperlust umgehen.

Yonimassage / Tantramassage

Etwa 50% der Frauen über 50 Jahre leben ohne Partner. Sie genießen ihr selbstbestimmtes Leben und möchten sich nicht mehr binden. Gleichzeitig haben sie den Wunsch nach Körperkontakt, nach guter Berührung, auch im Intimbereich. Die Yonimassage / Tantramassage kann für viele reifere Frauen Räume öffnen, in denen sie sich ganz neu in ihrem Körper erleben können. Vielleicht fühlen sie sich bei einem Masseur wohler und vertrauter, oder vielleicht schätzen sie die Geborgenheit und Sicherheit bei einer Frauenmasseurin. Das Alter spielt da wirklich keine Rolle. Meine älteste Kundin ist 82 Jahre. 
Frau kann in diesem Setting erfahren, dass auch der sich verändernde Körper wohltuende Berührungen genießt. Zu spüren, wie die Gebärmutter nach wie vor warm pulsiert, wie die Vulva sich auf präsente Berührung freut, und wie die Lust aus der Tiefe aufsteigt und sich ausbreitet. Sich auch nach der Massage noch im ganzen Körper lebendig und prickelnd spüren.

Körperliche Besonderheiten in der Menopause

Tatsächlich werden ab den Wechseljahren die Schleimhäute von Vulva und Vagina dünner und empfindlicher. Hier kann es schon hilfreich sein, regelmäßig die Vulva einzucremen, so wie die tägliche Gesichtscreme für fast alle Frauen Alltagsroutine ist. Das allein sorgt schon für eine gewisse Resilienz der Schleimhäute.
Und ja, es kann zu Schmerzen bei der Vereinigung kommen. In ihrem Buch „Make More Love“ schreiben Ann-Marlene Henning und Anika von Keiser: „Der Umstand, dass ältere Frauen beim Sex nachweislich häufiger Probleme mit der Trockenheit haben als junge, liegt einfach daran, dass es nun auffällt, wenn sie beim Sex nicht erregt genug sind. Bis zu den Wechseljahren reicht die normale, un-erregte Feuchtigkeit der Vagina für problemlosen Geschlechtsverkehr aus.“
Die sexuelle Erregung ist also der entscheidende Faktor für die Lubrikation und nicht der Hormonstatus.
Hier darf frau sich also genügend Zeit nehmen, bis sie w i r k l i c h, w i r k l i c h erregt ist und die Vagina die nötige Feuchtigkeit produziert.
Und selbstverständlich darf ein gutes Gleitmittel auf dem Nachttisch der Frau stehen.

Die Beckenschaukel

Die Beckenschaukel nach der Schule des Sexocorporel kann ein echter Gamechanger für Frau und Mann in jedem Lebensalter sein. Mit der Beckenschaukel wird die physiologische Bewegungsabfolge so wie sie bei sexueller Erregung geschieht, absichtlich nachgeahmt und eingeübt. Es handelt sich dabei um eine mühelose, feine Drehung des Beckens in Kombination mit der Atmung.
Mit der Beckenschaukel kommt es zu einer verstärkten Durchblutung der Becken- und Genitalorgane. Die Schwellkörper von Klitoris und Penis können sich leichter füllen. Die Vagina wird schneller feucht und die Erektion beim Mann wird stabiler.
Beim regelmäßigen Üben der Beckenschaukel können auch die Beckenorgane bewusst wahrgenommen werden. Es war auch für mich ein echtes Staunen, als ich meine Vagina und meine Gebärmutter so präsent spüren konnte. 
Auch wenn es im Alter zu der einen und anderen Bewegungseinschränkung kommt – die Beckenschaukel ist fast immer möglich und bringt so hohen Gewinn.

Slow Sex

Für Paare kann das Liebemachen nach dem Vorbild von Slow Sex ganz neue Räume für Intimität und Verbundenheit kreieren. Beide müssen nicht wirklich erregt sein. Der halberigierte Lingam darf sich an den Eingang der Vagina kuscheln. Und dann überlassen sie sich den Energien, die entstehen wollen. Es muss dazu nicht wirklich zu einer Vereinigung kommen. Nicht der Orgasmus ist das Ziel, sondern ein ganz bewusstes Geniessen des Augenblicks. Und vielleicht zum ersten Mal zu erleben, wie sich körperliches Einssein anfühlt. Die Stellung kann so gewählt werden, wie es für beide jeweils möglich ist. 

Die Freuden von sexueller Aktivität können uns somit auch im Alter nähren und vitalisieren. Vielleicht nehmen Häufigkeit und Libido ab oder auch nicht. Da gibt es keine Regeln. Es liegt an jeder Frau und an jedem Mann, wie wichtig ihr dieser Lebensbereich ist.
Und sexuelle Aktivität heißt nicht zwangsläufig körperliche Vereinigung. Es gibt so viele weitere Möglichkeiten, sich gegenseitig Lust zu schenken mit Hand und Mund und Toys.
Vielleicht gibt es im Alter das eine und andere Handicap, für das es dann einen liebevollen Umgang braucht. Und dafür vielleicht auch Begleitung und Unterstützung von Menschen, denen Sexualität in Verbindung mit Alter und Behinderung ein Herzensanliegen ist.


Text: Inari H. Hanel
Webseite: www.inari-sexualkultur.de

Weibliche Sexualität im Alter

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