Was dem Einen fehlt, bietet das Andere
Seit Jahren gebe ich Seminare in Tantra & BDSM. Die Verbindung beider Themen, auch in meinen Einzelsessions, ist so selbstverständlich, dass es immer wieder spannend ist, vor der Herausforderung zu stehen, das schon vielfach Gesagte, noch einmal neu zu erzählen.
Wenn ich mich an die Frage oben orientiere, komme ich bei dem Begriff Absichtslosigkeit, wie es im Tantra gerne verwendet wird, auf die Frage., was es denn meint, wenn wir sagen, eine Tantra Massage, eine tantrische Begegnung sei Absichtslos? Es meint, es bedient nicht unsere üblichen sexuellen Muster. Oder will sie zumindest erweitern. Neues Erleben dem bisherigen hinzufügen, über Zeit, Langsamkeit, Achtsamkeit und anderen Berührungsqualitäten als die gewohnten. Im BDSM ist das nicht anders. Es bringt einfach noch mehr Qualitäten hinzu, es darf auch mal schnell sein, oder extrem lang, in ein Rollenspiel gehen, intensivere Reize geben, usw. Es bietet eine noch größere Spielwiese, in dieser Zeit der „Absichtslosigkeit“ und des gemeinsamen Spiels.
Ich denke, die verstärkte Auseinandersetzung mit Sexualität, sei es über den tantrischen oder den Weg des BDSM, ist bereits ein großes gemeinsames Feld. Wir reden über unsere Sexualität, über unsere Genitalien, Partnerschaften, Erwartungen, Sehnsüchte, Masturbation, auch über unsere sexuellen Fantasien. Wir haben dadurch bereits eine viel größere Sprache um in einen Diskurs über Sexualität zu gehen. Diese unterscheidet sich in beiden Welten, aber die Freiheit und Wertschätzung im benennen von Körperteilen oder konkreten Aktionen ist gleichermaßen vorhanden. Wir haben also in beiden Welten viel eher gelernt, über unsere Wünsche und unsere Grenzen zu kommunizieren. Das ist eine große Voraussetzung für bewusste, selbstverantwortliche und einvernehmliche Sexualität.
Dominanz und Submissivität
In Teilen haben wir das auch im Tantra. Einer gibt, der andere bekommt. Einer lenkt das Handeln, der andere gibt sich hin und empfängt. Je besser das in der Tantramassage gelingt, je weniger der Empfangende die Situation beeinflussen und lenken will, je höher also seine Hingabe und Devotion, im Vertrauen, dass der Gebende schon weiß was er/sie tut, gleichzeitig in Selbstverantwortung, umso eher wird die Massage schön und gut im Fluss sein. Im BDSM ähnlich. Je höher meine Hingabe und Genussfähigkeit im Moment und mein Vertrauen, umso schöner ist es für den aktiven Part, mich darin zu lenken, zu führen und mit mir zu spielen. Darauf vertrauend, dass ich auch meine Grenzen kenne und sie benennen kann. Das Spiel funktioniert natürlich nur solange, wie beide was von der Situation haben. Habe ich als Gebender auch wirklich das Gefühl gegeben zu haben? Und hat der andere auch wirklich was bekommen? Wenn ja, entsteht eine Hingabe, eine Devotion, auch bei der Tantramassage, tiefe Dankbarkeit… sehr schön, das zurückzubekommen dann.
Es gibt nicht so viele Unterschiede tatsächlich, wie ich finde. Es sind beides ritualisierte Räume, in denen man sich bewegt. Darin gibt es Regeln. Darin ist die Achtsamkeit höher, die Präsenz. Über die Langsamkeit, die Subtilität. Von der feinen Berührungen bis hin zu tiefen, festen, gar schmerzhaften Reizen. Wenn diese im Kontakt und in Verbindung mit Lust stattfinden, sind beide Welten eine Hilfe für den Empfangenden, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Bei der Hinzunahme von stärkeren Reizen ist diese Wachheit und Präsenz oftmals sogar noch stärker. Der Körper erfährt über diese Reize ein schnelles Embodiment. Man atmet automatisch tiefer, die Energie kommt in Bewegung, die Stimme ist auch unweigerlich mit dabei. All die Schlüssel der Lust, Atem, Stimme, Bewegung, werden über stärkere Körperreize, die bis in den Schmerz gehen, aktiviert. Eingebettet in einen vertrauensvollen Rahmen, ist es nichts anderes als ein spielerisches in den Körper kommen und ein feiern unseres sexuellen Wesens.
Der spirituelle Aspekt
Es gibt einen spirituellen Aspekt im Tantra, den man genauso gut auf jegliche Handlung im SM Bereich übertragen könnte. Ich denke, selbst im Tantra gibt es nicht die Eine Form wie Menschen in Kontakt gehen und jeder Mensch wird von anderen Beweggründen getragen. Es kommt hier natürlich, wie in jedem anderen Bereich in unserem Leben, immer auf die persönliche Reife an. Welche persönliche Motivation habe ich, mich mit Tantra, mit SM auseinanderzusetzen? Mag ich mehr in meinen Körper kommen, mich besser spüren lernen, besser in den Kontakt mit anderen kommen, Techniken lernen, die mein erotisches Potential erweitern, ganzkörper Orgasmen bekommen, eine spirituelle Erfahrung machen, meine Energie für meine spirituelle Weiterentwicklung aktivieren und umlenken, meine Energie, meine Lust, meine Sexualität den Göttern opfern…? Oder meinem Herrn…. oder, oder….
Ich finde all diese Beweggründe spannend und wichtig und wert erforscht zu werden. Ebenso den Bereich dazwischen und die vielen anderen Dingen, die noch nicht in meinem Feld sind. Beide Welten sind spannend und haben ihre Geschenke und es gibt einen großen Bereich dazwischen, der super gut zusammengeht und bereichernd ineinanderfließen kann. Ich jedenfalls finde sogar dem Einen fehlt eindeutig was ohne dem Anderen.
Text: Julia Dietz
Webseite: www.tantricbodywork.de