Als ich um die Jahrtausendwende in einer Lebenskrise nach Auswegen suchte, stieß ich zunächst auf Reiki und die Stärkung der Selbstheilungskräfte. Im Herbst 2001 nahm ich an einer Visionssuche für Männer im Schwarzwald teil, wo ich meinen Namen „Tanzender Bär“ erhielt. Gleichzeitig wurde mir auch eine schamanische Gruppe in Nürnberg empfohlen und ein Jahrestraining namens „Körperentpanzerung“. Einige Jahre später entdeckte ich dann „Tantra“. Was haben all diese Richtungen, speziell Tantra und Schamanismus miteinander zu tun?
Spirituelles Spezialistentum
„Schamanen sind spirituelle Spezialisten, die bei vollem Bewusstsein eine rituelle Ekstase herbeiführen können und dabei den Eindruck haben, ihre Seele würde den Körper verlassen und ins Jenseits reisen.“ (Hirschberg, Heller, et al.)
Unter der Bezeichnung „Schamanismus“ verbirgt sich eine Vielzahl an Strömungen. Ursprünglich beschränkte sich die Bezeichnung auf die ethnischen Religionen Sibiriens. In einer weiteren Fassung meint Schamanismus alle Konzepte spiritueller Strömungen in traditionellen Ethnien. Das können Heiler, Geisterbeschwörer, Priester, Zauberer und Praktiken der Tranceinduktion und/oder Bewusstseinserweiterung durch Trommeln, Tanz, Hyperventilation, oder der Gebrauch psychoaktiver Substanzen sein. Weitere Praktiken schamanistischer Strömungen sind rituelle Ekstase, Traumyoga oder lucides Träumen, sowie geführte Seelen- oder Phantasiereisen.
Körperentpanzerung wird oft auch als schamanisches „Body De-Armouring“ bezeichnet. Auf meiner Recherche nach den Ursprüngen einer Körperarbeit mit dieser Bezeichnung stoße ich auf unterschiedliche, ja sogar verwirrende Informationen. Sicher ist, dass sich mentale, emotionale und energetische Phänomene gemäß den hermetischen Prinzipien auch auf der körperlichen Ebene abbilden. Auf dieses Weise können beispielsweise Blockaden oder Traumata körperliche Panzerungen hervorrufen, wie sie in vielen psychosomatischen Einrichtungen behandelt werden. Dieses Wissen ist vermutlich tausende Jahre alt.
Die englische Bezeichnung „Body De-Armouring“ impliziert eine indianische Herkunft. Damit geht häufig die Erwähnung des Deer Tribes oder der Twisted Hairs einher. Die „Deer Tribe Metis Medicine Society“ wurde 1986 von Harley „Swiftdeer“ Reagan gegründet und beruft sich auf geheime Riten der Cherokee und Navaho. Diese Quellen können jedoch nicht nachgewiesen werden. Tatsächlich beruhen die Lehren des Deer Tribe auf einem 4jährigen Kurssystem zur Persönlichkeitsentwicklung. In der gleichen Art wird auch „Chuluaqui Qoudoushka“ oder „Quodoushka“ gelehrt – eine spirituelle Sexualität, die sich ebenso auf die „Twisted Hairs“ beruft.
Ich habe die Körperentpanzerung als eine prozessorientierte Körpertherapie erlebt, die schamanische Praktiken zum Auflösen von Blockaden im Körper nutzt. Der tiefe Atem ist ein wunderbares Instrument, um Spannung und energetische Aufladungen im Körper spürbar zu machen. Gepaart mit einer Achtsamkeitsschulung ermöglicht der Prozess, tiefliegende Muster und Überzeugungen, die sich im Körper manifestiert haben, bewusst zu machen und nach und nach aufzulösen. Schon Wilhelm Reich beschrieb in seiner Lehre von den Körpertypen charakterliche Eigenschaften verschiedener Formen der Körperpanzer. Eine allgemeinverständlich und leicht lesbare Zusammenfassung der Körpertypen bietet Roland Bäurle.
„Schamanismus ist keine einheitliche Religion, sondern eine kulturübergreifende Form religiöser Wahrnehmung und Praxis.“ (Piers Vitebsky)
Was sich im Tantra wiederfindet
Während der Zeit meiner Körperentpanzerung oder kurz danach, las ich ein Buch von Margot Anand und wunderte mich, als ich die dort beschriebenen Übungen teilweise aus meiner schamanischen Gruppe wiedererkannte. Ich fragte meinen Lehrer, ob er „Tantra“ mit uns mache, und er zwinkerte mit dem Auge und sagte so etwas wie „kann schon sein“ …
Im Neo-Tantra, wie es von Osho und seinen Schülern überliefert ist, holen die Lehrer ihre Schüler da ab, wo sie sich gerade geistig-emotional befinden. Und bei vielen ist der Körper tatsächlich aufgrund teilweise auch traumatischer Kindheits- und Jugenderlebnissen gepanzert. Neben grundlegendem Achtsamkeitstraining und der Schulung des Gewahrseins ist die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers und seiner Funktionen essentiell.
Auch der Atem spielt in tantrischen Übungen und Ritualen eine große Rolle. Beispielhaft sei hier genannt die „Quantum Light Breath“ – Meditation von Jeru Kabbal. In seiner Einführung zur Meditation spricht er von den gespeicherten Emotionen, die der Körper nicht mehr unterdrücken und Blockaden, die er nicht mehr aufrechterhalten kann, wenn eine Zeitlang tief und voll geatmet wird. Die unterdrückten Emotionen (Freude, Leid, Wut, usw.) kommen dann ans Licht und mit dem Gewahrsein des Atems, kann der Übende den Anachronismus seiner Emotionen erkennen.
Die wichtigste Gemeinsamkeit von Schamanismus und Tantra scheint mir jedoch die „rituelle Ekstase“ zu sein. Als wesentliches Element des klassischen Schamanismus, auf einer Seelenreise krankmachende Geister zu beschwören wird die rituelle Ekstase im Tantra mit ähnlichen Techniken zur Erlangung außergewöhnlicher Bewusstseinszustände herauf-beschworen. Dabei soll der Zustand der Verzückung, Ent-Rückung, bzw. des Ausser-Sich-Seins die Kanäle frei machen für den Fluss der stärksten Energie im Körper, der Sexualenergie.
Schließlich noch ein paar Worte zu den Kahunas, den Schamanen Hawaiis. Im Neo-Tantra, aber auch in modernen Achtsamkeitslehren finden sich gleich mehrere der sieben schamanischen Prinzipien der Kahunas wieder:
IKE – Bewusstheit – die Welt ist das, wofür du sie hältst
KALA – Freiheit – es gibt keine absoluten Grenzen
MAKIA – Sammlung – die Energie folgt der Aufmerksamkeit
MANAWA – Hier und Jetzt – Jetzt ist der Augenblick der Kraft
ALOHA – Herzensliebe – Liebe heißt glücklich sein mit dem, was ist.
MANA – Vertrauen – alle Macht kommt von Innen
PONO – Flexibilität – Wirksamkeit ist das Maß der Wahrheit
Text: Klaus Gabriel Peill
Webseite: www.quinta-essentia.de