Gerade von Kreta zurückgekehrt, entspannt von der griechischen Sonne-Meer-Sand-Atmosphäre, genährt von den sonnenroten Tomaten, von Tzatziki und von zuckersüßen Wassermelonen, lassen wir (Eva und Peter) die tantrischen Paar-Seminare, die wir dort gegeben, nachwirken. Bilder des Seminarraumes, der sich gänzlich einem Paradiesgarten mit Zitronenbäumen, Orangenbäumen und Palmen öffnet, flirren uns noch vor Augen.
“Tantrische Liebe und Sexualität“ lautete der Titel der Seminare und verspricht den Paaren eine intensive Zeit der Liebe und eine erfüllende Sexualität. Viele Paare freuen sich auf diese Urlaubswoche, in der alles daraufhin deutet, dass sie nur glücklich sein werden. Die Erwartungen vieler dieser Paare werden oftmals weit übertroffen und zwar durch etwas, das sie überhaupt nicht gebucht haben. Diesem etwas mag eigentlich niemand begegnen und schon gar nicht im Urlaub bei einem tantrischen Seminar.
Verletzlichkeit heißt dieser Teil, den die Paare unwissentlich mitgebucht haben. Nicht mal in kleinen Buchstaben wird man darüber informiert. Verletzlichkeit nähert sich lautlos und unsichtbar. Gerade wenn alles stimmig ist, wenn sich die Paare sinnliche und sexuelle Berührungen und Herzensaufmerksamkeit schenken, dann hat die Verletzlichkeit den Mut an die Oberfläche zu kommen. Unsere tantrische Seminararbeit zielt auf das Bearbeiten dieser Verletzlichkeit, weil erst dann Nähe, Intimität, sexuelle Erfüllung, Liebe und Herzensbeziehung stattfinden kann.
Was ist tantrische Sexualität überhaupt?
Bevor wir jedoch auf die Zusammenhänge von “Tantrischer Sexualität“ und “Verletzlichkeit“ eingehen möchten, wollen wir die Frage stellen: Was ist “Tantrische Sexualität“ überhaupt? Allein diese Frage zu beantworten, würde viele Seiten füllen und es gäbe je nach Tantra-Schule ganz unterschiedliche Antworten. Um jedoch das Thema “Tantrische Sexualität und Verletzlichkeit“ besser zu verstehen, möchten wir zwei wichtige Aspekte benennen, die aus unserer Sicht eine tantrische Sexualität ausmachen.
Präsenz
Das “präsent sein“ bedeutet, dass man sich selber spürt, also sich der eigenen Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken, Impulse bewusst ist und sich dem Gegenüber damit zeigen kann. In dieser Präsenz geht es nicht darum ein Ziel erreichen zu müssen, sondern entspannt im Hier und Jetzt zu sein.
Dies klingt im Prinzip ganz einfach, ist jedoch oft schwer, weil wir Menschen viele Koffer mit Erwartungen, Wünsche, Ängste Unsicherheiten mit uns tragen, die einen doch nicht so offen und präsent sein lassen. Hinzu kommen dann noch unbewusste Leistungsmuster und die Angst etwas falsch zu machen und dann strengt man sich schon an in der Beziehung. Also nimmt man eigene Bedürfnisse zurück, zieht sich etwas zurück und unbemerkt schwindet die Präsenz zu einem bestenfalls neutralen Zustand, der viele spontane Lebensimpulse unterdrückt.
Achtsamkeit
“Achtsam sein“ bedeutet, wach, neugierig und aufmerksam sich selber und dem anderen gegenüber zu sein. Achtsamkeit bedeutet auch, alle Ereignisse in der Begegnung, wie Bedürfnisse, Erwartungen, Irritationen und Blockaden bei sich selber und beim anderen wahrzunehmen. Was machen alle die wahrgenommen Ereignisse mit mir und mit meinem gegenüber und welche Veränderungen brauche ich?
Diese Art der Achtsamkeit ist für viele Menschen schwer, weil sie in der sexuellen Begegnung ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllt haben wollen. Alles, das sie hindert dieses Ziel zu erreichen, wird entweder ignoriert oder nicht wichtig genommen.
Achtsamkeit braucht viel Langsamkeit, den Mut und die Zeit inneres Geschehen zu spüren, da sie Menschen mit sowohl angenehmen, als auch mit alten, verletzlichen Emotionen in Kontakt bringt.
Warum bringt uns tantrische Sexualität mit unserer Verletzlichkeit in Kontakt?
Diese beiden Qualitäten von tantrischer Sexualität “Präsenz“ und “Achtsamkeit“ holen uns raus aus dem “Nicht-Spüren“ und “Funktionieren“ und bringen uns direkt ins Fühlen. Gerade durch langsame und sinnliche Berührungen können wir lange zurückgehaltene Bedürfnisse nicht mehr unterdrücken. Wir werden durch eine achtsame Sexualität emotional weicher und verletzlicher. Weil viele jedoch nie gelernt haben, wie sie mit der eigenen Verletzlichkeit umgehen können, wird die Begegnung unsicher und kann schnell in einem Streit enden.
Verletzlichkeit innerhalb der Sexualität ist willkommen!
Unsere befreiende Botschaft bezüglich dieser unangekündigten Verletzlichkeit in Paarbegegnungen ist: Deine Verletzlichkeit ist jederzeit willkommen und sie ist ein Geschenk, wenn sie sich zeigt.
Dies ist bei weitem nicht selbstverständlich. Viele Paare tun alles, um ja nicht in die Verletzlichkeit zu kommen. Die Angst ist sehr groß, dass es dann zu Diskussionen, Schuldzuweisungen, Vorwürfe und Streit kommt und die sexuelle Begegnung abrupt endet.
Wenn jedoch beide Partner eine andere innere Einstellung zur Verletzlichkeit bekommen und lernen mit der immer wieder auftauchenden Verletzlichkeit achtsam umzugehen, dann werden sie feststellen, dass das Geschenk tiefgehender Intimität in diesem achtsamen “da sein lassen“ der Verletzlichkeit liegt.
Wie kann ich nun mit Verletzlichkeit innerhalb der Sexualität umgehen?
Sobald einer von Euch wahrnimmt, dass der gemeinsame Begegnungsraum unsicher geworden ist oder einer von Euch sich gestresst oder irritiert fühlt, dann braucht es das Innehalten und eine kleine Pause zum Fühlen. Dies wahrzunehmen und auszusprechen ist ein großer und wichtiger Schritt, um aus alten Mustern, wie “Es muss irgendwie weitergehen“ auszusteigen.
Die Pause zum Fühlen ist eine Chance neue Wege zu gehen
Wenn Ihr es schafft eine Pause in Eurer Begegnung zu machen und Ihr Euch beide Zeit nehmt, die jeweils eigene Verletzlichkeit zu fühlen, dann können sich neue Türen in Eurer Beziehung öffnen.
In der Pause sollten nicht Argumente gefunden werden, um den anderen von irgendetwas zu überzeugen, was er/sie falsch gemacht hat. Es ist eine Zeit zum Fühlen: “Was tut mir eigentlich so weh?“
Die Verantwortung übernehmen und sich zeigen
Wenn Du die Verantwortung für Deine Verletzlichkeit übernehmen kannst und Dich ein Stück weit zeigen kannst, dann kann Dein Gegenüber gut zuhören, kann da bleiben und Dich empathisch in Deiner Verletzlichkeit begleiten. Aus dem Kontakt mit Deiner Verletzlichkeit kannst Du anschließend Deine aktuellen Bedürfnisse zum Ausdruck bringen und Deinen persönlichen, einzigartigen Weg Deiner Sexualität und Deiner Liebe leben.
Innehalten und weiterfließen
Dieses Innehalten und Wahrnehmen der eigenen Verletzlichkeit braucht gar nicht so viel Zeit. Oft reicht es, sich eine kleine Pause zu wünschen, sich eine Hand aufs Herz zu legen und dem eigenen, verletzten Teil zu sagen: “Ich spüre Dich, ich achte Dich und ich sorge für Dich“. Dein verletzter Teil fühlt sich gesehen und beruhigt sich wieder.
Nach dieser achtsamen Spürzeit kann die tantrische Begegnung wieder entspannt weiterfließen und eine neue Verbundenheit und Intimität ist spürbar. Das Vertrauen in die Begegnung ist gewachsen und mehr Leichtigkeit trägt dazu bei, dass es spielerischer und lebendiger in der Sexualität wird. Mann und Frau trauen sich wieder mehr auszuprobieren.
Heilungsarbeit
Bei größeren Themen braucht es mehr Zeit für Ressourcen, Kraftquellen und liebevolle Zeit für Heilungsarbeit mit einfachen alltagstauglichen Heilwerkzeugen. Nimm Dir diese wichtige Zeit, um Deine alten unverarbeiteten Erfahrungen Dir bewusst zu machen und zu heilen. Diese Heilungszeit ist die wichtigste Zeit in Deinem Leben, weil sie Dir die Türen öffnet, Dein Leben ganz in Besitz zu nehmen.
Text: Peter Kammermeier und Eva Puhm
Website: www.bewusster-lieben.de