Vor einigen Jahren war ich Teilnehmerin auf einem Tantra-Retreat in einem spanischen Kloster. Eines Abends wurde uns eine besondere Aufgabe mitgeteilt. Nein, keine sinnliche Begegnung, geschweige denn ein Ritual. Stattdessen war es unsere Aufgabe, zu putzen! Und zwar die ganze Nacht bis zum Morgengrauen. Ausschließlich mit Unterbrechungen von stillen Meditationsphasen. Ich fasse es nicht! Nicht etwa, dass das Kloster verlassen, dreckig und mit Spinnweben zugehängt war. Nein, es hatte ein gepflegtes Ambiente und natürlich gab es Reinigungsfachkräfte, die jede Woche vorbeikamen.
Trotzdem sollen wir mit Putzeimer, Staublappen und Feger bewaffnet die Räume auf Vordermann bringen. Als Alternativaufgabe gab es noch die Möglichkeit zum Modellbau. Das habe ich jedoch als Kind schon gehasst! Die letzte Ausweichmöglichkeit war das Nähen, aber dazu war mir das gelbe Licht im Kloster zu schummerig.
So lief ich müde mit dem Scheuerlappen in der Hand die klösterliche Steintreppe hoch. Nachdem ich die Treppe wohl schon 20-mal gefegt und ebenfalls nass gewischt hatte, war mein innerer Dialog auf hundertachtzig: „Warum ich mir das antue? Solche altertümlichen Methoden! Schlafentzug und Putzen? Geht s noch?“ Stocksauer fegte ich Stufe um Stufe wiederholt die große Treppe bis zum Saal. Begierig fand ich tatsächlich noch kleine Staubflusen und brachte einen winzigen Kerl per Hand begeistert zum Mülleimer. Da hatte man wenigstens das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.
Glücklich via Staubwedel
Etwas schien sich in mir währenddessen zu wiederholen: Im obersten Stock begann ich wütend zu fegen. Von Etage zu Etage beruhigte sich meine Laune und spätestens im Erdgeschoss war ich ganz versunken im Tun. Als wären alle störenden Gedanken und Widerstände mit weggefegt. Ich fand mich wieder: aufmerksam und entspannt im Moment, befreit von aberwitzigen Dialogen im scheinbar unsinnigen Tun. Man könnte sagen „glücklich via Staubwedel“.
Im Morgengrauen standen wir im Hof des Klosters. Leichter Regen fiel auf die durchnächtigten Gesichter. Bevor ich dann endlich ins Bett fiel, hatten sich schon längst verschiedene widerspenstige Anteile schlafen gelegt, – ich sank erschöpft mit einem Lächeln in Morpheus Arme.
Putzen als tantrische Praxis?
Im Reisegepäck nahm ich diese Erfahrung mit und halte sie immer noch in Ehren, denn im tantrischen Sinne geht es auch im Alltag um das Verschmelzen im Tun: Ist Putzen also eine tantrische Praxis?
Ja, und es muss auch nicht immer gleich Nacktputzen im sexy Outfit sein. Aber dies ist sicher auch eine Idee.
Wir alle kennen Sex, Verschmelzung und liebevolles Verhalten einem Partner bzw. einer Partnerin gegenüber. Aber bist du schon einmal verschmolzen mit Materie?
Wie wäre es, wenn du genauso liebevoll, zärtlich mit einem Tuch das Fenster putzt, als wäre es ein Liebesobjekt? Kannst du dich genauso dort hineingeben? Bewegst du dein Becken so, dass deine Bewegung aus deinem ganzen Körper kommt?
- Atmest du tief durch?
- Erlebst du, dass dein Tun lebendiger, vielleicht sogar lustvoller wird, wenn du deinen ganzen Körper in die Bewegung mit ein beziehst?
- Erfreut dich der klare Blick durch die blitzsaubere Scheibe, genauso, wie in dir ein Wohlgefühl entsteht, wenn du einen geliebten Menschen siehst?
- Kannst du Anerkennung und Bewunderung für die spiegelblanken Objekte haben?
- Fühlst du Wertschätzung, dass dies derzeit deine Wohnung und dein Sofa ist? Genauso wie die Würdigung, dass dein Partner oder deine Partnerin ihre bzw. seine Zeit mit dir verbringt?
- Kannst du mit einem Lächeln die Schönheit der Dinge betrachten, genauso wie du dich beglückt fühlst über die Einzigartigkeit und Kostbarkeit deines Gegenübers?
- Streckst du dich über Ecken und Kanten der Schränke und bist dir bewusst, dass nicht alles rund ist im Leben?
- Kannst du mit den Gegenständen und mit dir selbst fürsorglich umgehen, sodass du nicht von der Leiter fällst, während du die Lappen schwingst?
Here and now
Tantrisches Energiesparen fängt nicht nur beim Strom an, sondern bedeutet auch, seine Lebenszeit nicht zu verschwenden mit witzlosem inneren Hin und Her.
Denn wie viel Zeit vergeht durch Aufschieben und dem „Mach ich halt später“? Oder dem Gedanken, dass es doch weitaus Wichtigeres gibt, als Papierkörbe auszuleeren? Ja, richtig, aber wie wäre es z. B. den Müll mit der Vorstellung zu entsorgen, dass gleichzeitig das Vergangene in die Abfalltonne fällt und du dich damit entlastet?
Tantra bedeutet nicht, den Verstand auszuschalten, sondern ihm eine sinnvolle Beschäftigung zu geben. Beim Tun auf heitere Weise mit dabei zu sein.
Vielleicht gelingt es ja beim Hausputz aus den Gegenständen momentane Liebesobjekte zu machen?
Genauso, wie es förderlich ist, in einer Partnerschaft den Partner objektifizieren zu können, kann man hier im Alltag beim einfachen Putzen beginnen.
Diese Praxis kostet fast nichts und nebenbei wird es auch noch picobello sauber. Auf geht’s!
Text: Ilka Stoedtner
Webseite: www.ilka-stoedtner.de
Vielen Dank, liebe Ilka,
Du hast mich sehr inspiriert!
Herzliche Grüße aus Besigheim von Daniela
Liebe Daniela, na das ist ja prima! Die Flusen und Flausen werden sich freuen, liebe Grüße aus Berlin, Ilka