Print Friendly, PDF & Email

Meine Erfahrungen mit BDSM als Tantra Lehrerin

Als Tantra-Lehrerin gehörte ich zu den Leuten die bei dem Wort „SM“ an Lack, Leder und Hauen dachten, also nix für mich. Ich will liebevolle, zärtliche und spirituelle Begegnungen.
Bis zu dem Tag als Wilhelm auf mich zu kam und mir seine Idee vom LiebesKunstRaum unterbreitete. Es sollte eine Mischung aus Tantra, BDSM und Tanz sein. Ich erklärte ihm, dass ich keine Ahnung von BDSM habe, jedoch offen bin für alles, was der sexuellen Heilung dient und Menschen positive sexuelle Erfahrungen machen lässt. Das Werkzeug welches ich zu dem Zeitpunkt sicher beherrschte war Tantra. So ließ ich mich mit einem leicht mulmigen Gefühl auf ein völlig neues „Experiment“ ein, welches meine Neugier weckte.

Wir begannen also unser gemeinsames Projekt „Liebeskunstraum“ zu entwickeln. Ich erkannte immer mehr, wie viele Parallelen zwischen diesen beiden Liebesformen existieren. Auch merkte ich, dass ein Stück BDSM bereits in meiner Welt war, ohne dass ich auf die Idee gekommen wäre es so zu betiteln. Heute sehe ich Vieles mit anderen Augen. Im Tantra lernen wir durch Langsamkeit wieder mehr ins Spüren zu kommen und dadurch besser unsere Grenzen zu benennen. Wer bei BDSM-Spielen nicht auf seine Grenzen achtet und diese benennt, kommt vielleicht noch schneller als beim Tantra von seinem Pfad der Lust ab.

Im tantrischen Umfeld lernen wir Achtsamkeit und absolute Präsenz in der Begegnung. Beides ist für meinen BDSM-Partner ebenfalls unabdingbar, denn sonst wird es mir schwer fallen, mich voller Vertrauen der Situation ganz hinzugeben. Ich behaupte fast, dass eine BDSM-Beziehung ohne gegenseitiges Vertrauen nicht existieren kann. Wie soll denn bei diesen Spielarten Lust entstehen, wenn ich nicht sicher sein kann, dass der andere ein Stopp jederzeit respektiert?

Anfangs war ich mir nicht sicher ob BDSMler und Tantriker nebeneinander ihre Bedürfnisse ausleben können. Ich hatte Angst, beiden gleichzeitig nicht gerecht werden zu können. Heute weiß ich: ja es funktioniert! Auch der BDSMler mag es mal zart und langsam, möchte Zeit haben zum Hinspüren so, wie der Tantriker vielleicht auch mal fester, schneller bespielt werden möchte, von all den tollen Spielzeugen mal ganz abgesehen.

Auch in der Tantramassage habe ich festgestellt, dass eine gewisse Dominanz der MasseurIn durchaus hilfreich für den Empfänger ist, um sich komplett hingeben zu können. Nur käme hier wahrscheinlich niemand auf die Idee eine Tantramassage als dominant/submissive Begegnung zu bezeichnen.

Heute ist mir eines klar geworden: so wie Tantriker unter sich fragen müssen, welche Art von Tantra magst Du – denn auch hier gibt es große Unterschiede – müssen BDSMler unter sich das Gleiche tun. Am Ende versuchen wir unsere sexuellen Neigungen an Begriffen fest zu machen, doch jeder Mensch ist so individuell, dass wir immer wieder aufgefordert sind, über unsere Vorlieben zu sprechen.

Unsere Sexualität sollte stets die Offenheit haben sich weiterzuentwickeln. Wir sollten uns erlauben, Neues ausprobieren und dabei stets achtsam zu sein, um dann zu spüren, was tut mir gut und was möchte ich davon beibehalten. Unsere Grenzen wollen geachtet werden und der einzige Mensch der dafür verantwortlich ist, sind wir selbst. Im LiebesKunstRaum haben wir einen positiven Raum für viele unterschiedliche Spielarten kreiert. Hier können Neulinge ihre ersten Erfahrungen mit BDSM machen, in einer kleinen Gruppe und in einem geschützten Raum.

Tantra & BDSM: Gemeinsamkeiten, Gegensätze und was beide voneinander lernen können

Die gelegentlich vertretene Ansicht, dass Tantra und BDSM zwei unvereinbare Gegensätze sind, führt uns direkt zur ersten Gemeinsamkeit der Beiden: Die öffentliche Wahrnehmung von beiden ist stark verzerrt. Tantra landet leider bei vielen Menschen in der Sex-Schmuddelkiste, ein Weg um mit vielen Partnern Sex zu haben oder was auch immer sich die Menschen darunter vorstellen. Dass Tantra etwas sehr Heilsames ist und sehr viel mit Wertschätzung des Gegenübers zu tun hat, spricht sich in der Bevölkerung nur langsam herum. Die Vorurteile gegenüber allem was mit Sexualität zu tun hat sitzen tief. BDSM hat ein ähnliches Problem. Viele sehen die Praktiken als pervers an und haben Bilder von rücksichtsloser Gewaltanwendung im Kopf. Dass BDSM ebenfalls eine sehr heilsame Komponente haben kann und die praktizierenden Menschen in der Regel sehr achtsam und bewusst agieren, wissen die Wenigsten.

Die Liste der Gemeinsamkeiten ist lang. In beiden Bereichen bedienen wir uns sexueller Energien zum Zwecke der Selbsterfahrung und der persönlichen Entwicklung. In beiden Fällen suchen wir nach tief gehenden Erfahrungen, die uns in der Seele berühren. Auch die Methoden überlagern sich. So übernimmt im Tantra wie im BDSM typischerweise immer einer den aktiven, der andere den passiven Part. Langsamkeit, Achtsamkeit und Hingabe sind wichtige Zutaten für beide und die Einschränkung der Sinne, wie etwa eine Augenbinde, wer hat‘s erfunden?

Die aus meiner Sicht wichtigste Gemeinsamkeit ist der Fokus auf die Wahrnehmung und Einforderung der eigenen Grenzen. Übungen dazu gibt es im Tantra und BDSM gleichermaßen und auch die Probleme der Menschen damit sind dieselben. Bin ich zu weit gegangen? Hätte ich früher stopp sagen müssen? Konnte ich nichts sagen, weil ich kein(e) SpielverderberIn sein wollte?

Eine wichtige Zutat im Tantra ist Präsenz. Als ich zum ersten Mal einem der Weltklasse-Rigger beim Fesseln seines Modells zusehen durfte, wurde meine Vorstellung vor Präsenz und Leidenschaft nochmal auf eine weitere Stufe gehoben. Die anfängliche Gänsehaut, die plötzliche Totenstille im Raum und am Ende meine Tränen der Rührung, alleine vom Zuschauen hervor gerufen.

Im Tantra steht oft die Absichtslosigkeit der Berührung im Fokus. Es gibt kein Ziel, keinen Orgasmus, nur in den Moment hinein zu spüren ist wichtig. Auch hier eine Analogie im BDSM: Der Weg ist das Ziel.

Aber es gibt auch Unterschiede. BDSM hat ein breiteres Lust-Spektrum. Hier dürfen auch lustvoller Schmerz und andere gemeinhin als negativ beurteilte Praktiken wie Erniedrigung zur Luststeigerung verwendet werden. Natürlich nur so weit wie jeder das individuell als lustvoll empfindet und die Unterschiede im BDSM sind aufgrund der Vielfalt der Möglichkeiten sehr groß.

Die Aufteilung in aktiv und passiv wird im BDSM noch erweitert bzw. verstärkt durch das Machtgefälle, was allen BDSM-Praktiken gemein ist. Es gibt den dominanten und/oder sadistischen und den submissiven und/oder masochistischen Part. Wer das mag, wird mit einer sehr viel intensiveren Erfahrung belohnt.

BDSM ist nicht an etwas Größeres angebunden, auch wenn wir vielleicht alle auf der Suche nach unserer Seele sind. Die einzige Anbindung ist hier die des Sub‘s an seinen Dom. Es spricht aber natürlich nichts dagegen, BDSM in diesen tantrischen Kontext einzubinden.

Die spannendste Frage für mich, und vielleicht auch mit der Grund, wieso ich zusammen mit Jane den LiebesKunstRaum mache, ist: Was kann Tantra von BDSM lernen und anders herum?

Die klassische BDSM Szene kann aus meiner Sicht eine ganze Menge von Tantra lernen. Ich habe nicht wenige Menschen gesehen, die ich zwar nicht als übergriffig, aber durchaus als unachtsam bezeichnen würde. Im Tantra wird eben viel gelehrt und angeleitet und das kommt am Ende allen zugute. Was ich hier beobachte ist, dass die BDSM Szene, insbesondere in Metropolen wie Berlin und Wien, sehr stark im Umbruch ist. Achtsamkeit, verspieltes Ausprobieren und offene Kommunikation halten immer mehr Einzug und verdrängen die althergebrachten Vorschriften was und wie BDSM zu sein hat.

Die Tantra Szene kann von BDSM lernen, noch stärker auf die Grenzen der Menschen zu achten. Im BDSM ist das ein Muss. Wenn ich meine Grenze nicht einfordere, kann das im wahrsten Sinne des Wortes eine schmerzhafte Erfahrung sein. Ich denke dass BDSMler aus diesem Grund noch mehr mit der Thematik von Grenzen vertraut sind. Tantra ist typischerweise stark ritualisiert, was einen hohen Gruppendruck bewirken kann, zum Beispiel wenn es um die Partnerwahl geht. Im BDSM ist die Partnerwahl typischerweise freier gestaltet und macht es den Teilnehmern leichter, auf die eigenen Grenzen zu achten.

Typischerweise erfordert eine BDSM-Begegnung auch mehr und eine intensivere Kommunikation über das was da passieren soll oder was passiert ist. Auch das Lesen des Gegenübers hat einen sehr hohen Stellenwert. Ist die Schmerzgrenze schon erreicht? Wünscht sie sich etwas Intensiveres? Wird das nicht kommuniziert, so geht die Lust sehr schnell baden.

Text: Jane Seifert (Tantra Lehrerin) und Wilhelm Hagg (Tanz und BDSM)

Website: https://www.liebeskunstraum.de

Tantra und BDSM zwei unvereinbare Gegensätze?
Markiert in:                                                

4 thoughts on “Tantra und BDSM zwei unvereinbare Gegensätze?

  • 14. September 2019 um 11:19
    Permalink

    🙂

    in der Tantra Massage gelernt:
    Als Gebender: „…. Und immer wenn du denkst du bist schon langsam, dann halbiere deine Geschwindigkeit …“

    Beim Shibari (Fesseln mit Seilen) gelernt:
    Des Riggers Minute ist des Bunnies Sekunde –> Zeitlassen !
    Rigger sind die die Fesseln (Gebend)
    Bunnies werden gefesselt (Nehmend)

    Schöner Artikel, danke

    Antworten
  • 9. Juni 2023 um 15:55
    Permalink

    Hallo,
    Sie haben mit viel Gefühl und Achtsamkeit alles beschrieben.
    Meine Hochachtung dafür!
    Ich selbst habe eine langjährige intensive Tantra-Ausbildung durchlaufen.
    Namaste!

    Antworten
  • 29. September 2023 um 19:26
    Permalink

    Danke für den neutral gehaltenen Artikel.
    Doch ich habe so meine Zweifel dass BSDM im Sinne des tantrischen Denkens sein kann.
    Branding, Needeling, Schläge, Erniedrigung, Ritzen sind für mich krankhaft wenn ich dadurch Lust empfinde.
    Und wenn jemand nur noch Lust bei Schmerz (sei es körperlich oder emotional) empfinden kann….
    dann stimmt in meinem Kopf etwas nicht, sorry wenn ich es so ausdrücke. Ich weiß, dass mich die BDSM Scene für diese Meinung ablehnt. Aber ich kann aus psychologischer Sicht, gerade was Heilung angeht, sagen, dass dadurch
    gerade bei misshandelten Menschen (wenn ein Kind die Erfahrung gemacht hat, nur durch Schläge Zuneigung zu erhalten) extreme Trigger ausgelöst werden die das Thema nicht heilen sondern ständig vertiefen.

    Antworten
    • 14. März 2024 um 23:56
      Permalink

      Liebe Christina, Danke für deine Gedanken.

      Dass BDSM eine Krankheit ist wurde lange angenommen, ähnlich wie bei Homosexualität. Mittlerweile geht die Wissenschaft davon aus, dass es sich um eine Sexualpräferenz handelt und es wurde sowohl aus der ICD als auch der DSM Kategorisierung von Krankheiten entfernt. Einer der Gründe dafür ist die vollkommen unnötige Stigmatisierung und Diskriminierung von Fetischisten und BDSMlern, die nicht mit den Menschenrechten vereinbar ist. Als Krankheit werden einvernehmliche BDSM Handlungen nur noch eingestuft, wenn der Ausübende selbst darunter leidet oder es zu gesundheitlichen Schäden kommt. ( Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/BDSM#Medizinische_Einordnung). Das größte Leiden aus meiner eigenen Erfahrung ist die durch Stigmatisierung erzeugte Ablehnung der eigenen sexuellen Identität.

      Ich weiß dass Menschen mit Traumata durch BDSM-Handlungen getriggert werden können, insbesondere dann, wenn die Traumata nicht aufgearbeitet wurden. Wenn BDSM in einem unachtsamen Umfeld praktiziert wird, wo Grenzen überschritten und Menschen nicht aufgefangen werden, kann dies zu einer Re-Traumatisierung führen. Ich selbst habe so einen Trigger in meiner Workshop-Praxis bisher nur einmal erlebt und wir haben die Person gut aufgefangen, so dass sie letztlich mit einem leichten plus nach Hause ging und danach mehrfach wieder kam. Auf der anderen Seite kenne ich sehr viele traumatisierte Menschen, die ihre teils sehr schweren Traumata im BDSM-Umfeld heilen. Die erste Voraussetzung für Heilung ist, dass die Person dabei Lust empfindet (wenn nicht wird man ja wohl auch kein BDSM praktizieren). Die zweit Bedingung ist ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten. Im Gegensatz zu einem traumatischen Kindheitserlebnis bekomme ich jetzt die Schläge nämlich von einer Person die mir wohl gesonnen ist, die darauf achtet dass ich genau die Dosis bekomme, die mir gut tut. Und im Idealfall fängt mich die Person dann hinterher auf und kümmert sich liebevoll um mich. Das ist der Moment in dem Heilung entsteht: Das erneute Durchleben der Situation im Vertrauen dass nichts schlimmes passiert.

      Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, ob BDSM in seiner konkreten Situation und mit seiner sexuellen Veranlagung etwas heilsames oder etwas schädliches ist. Für mich persönlich ist es sehr heilsam und ich denke es gibt ein sehr großes brach liegendes BDSM Heilungspotential das darauf wartet von Therapeuten genutzt zu werden.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.