Über den jeweiligen Einfluss von Natur bzw. Kultur auf unser Mann- bzw. Frausein wurde und wird viel gestritten. Doch es gibt eine dritte Perspektive auf das Thema. Vor allem im spirituellen Kontext ist häufig von Männlichkeit und Weiblichkeit als essenziellen Prinzipien unserer Existenz die Rede. Was ist davon zu halten?
Im Tantra gelten Shiva und Shakti als Ikonen universeller Männlichkeit bzw. Weiblichkeit. Wie wir es interpretieren und damit umgehen, dass wir als Frauen und Männer leben, hat nicht nur großen Einfluss auf unser Liebesleben, sondern auch auf andere grundlegende Erfahrungen unseres Seins. Schauen wir also einmal näher hin.
Als Tantralehrer erlebe ich die enorme Wirkung, welche die zeitweilige Trennung der Geschlechter gruppendynamisch entfaltet. Bei der Wiederbegegnung stehen sich Frauen und Männer mit oft glänzenden Augen gegenüber und können sich in ihrer jeweils besonderen Qualität besser wahrnehmen und wertschätzen.
Solche erhabenen Momente legen die Interpretation nahe, dass Männern und Frauen prinzipiell unterschiedliche Qualitäten zu eigen sind.
Was naheliegt, ist nicht unbedingt wahr.
Was naheliegend erscheint und sich zuweilen gut anfühlt, muss deswegen nicht wahr sein. Naheliegend ist oft vielmehr das, was an Vertrautem andockt oder Bedürfnisse bedient. Es ist nicht lange her, da schien es naheliegend, dass Frauen ins Heim und an den Herd gehören und Männer in die Berufswelt. Eine Frau bei der Bundeswehr war undenkbar, ein Mann mit Kinderwagen ein Hingucker und Männer, die sich Küsschen gaben, erregten Abscheu.
Heute sind wir weiter, doch lange nicht frei von Dogmen und Klischees, auch in der Tantra-Szene nicht. Im letzten Tantra-Spezial der Connection schreibt Lucian Loosen: „Der Kern der Männlichkeit ist: Du gehst deinen Weg mit zielgerichtetem Blick, egal wer mitkommt, (…) auch wenn du dabei sterben könntest, denn deine Vision, deine Berufung steht über deinem Leben.“ Markige Worte, die manchem, der ein Defizit an Leidenschaft in sich spürt, vielleicht Mut machen. Doch mich erinnern sie zugleich auch fatal an Selbstmord-Attentäter.
Klare Zuordnungen in der Geschlechterfrage sind beliebt, versprechen sie doch Orientierung im Beziehungsdschungel. Aktivität, Verstand, Tatkraft und Zielorientierung gelten als männlich, Passivität, Gefühl, Entspannung und Geschehenlassen als weiblich. Oft wird diese Aufteilung auf den gesamten Kosmos übertragen. Mond, Erde, Wasser und Sein sind weiblich, Sonne, Himmel, Feuer und Tun männlich. Davon abgesehen, dass die Zuordnungen nicht immer übereinstimmen (vgl. dt. die Sonne und der Mond, frz. la lune, le soleil): Macht es Sinn, sämtliche Polaritäten unserer Existenz zu sexualisieren, d.h. sie alle den Kategorien männlich/weiblich zuzuordnen?
Hier geht’s weiter: Der vollstängige Text auf www.sein.de
Text: Saleem Matthias Riek (Tantralehrer, Paar- und Sexualtherapeut, Buchautor)
Buchtipp: Saleem Matthias Riek und Rainer Salm “Lustvoll Mann sein”
Websites: www.art-of-being.de und blog.saleem-matthias-riek.de
Pingback:Frauen und Männer – wie kommen sie zusammen? | Saleems Blog