Polyamorie? polyAmor!e
Das aus meiner Sicht wirklich Bemerkenswerte ist Susannes von Herzen liebevolle Haltung gegenüber anderen Frauen, ihre Shakti-Schwesterlichkeit, sehr bemerkenswert. Wenn ich im Kontakt mit einer anderen Frau bin, egal auf welcher Ebene, so ist es für Susanne sehr wichtig, ob es der anderen Frau dabei gut geht.
Wenn sie spürt, dass ich mit einer Frau liebevoll umgehe, dann öffnet das auch ihr Herz. Es ist, als würde sie ein berühmtes Zitat in weiblicher Form formulieren: „Was Du (der geringsten) meiner Shakti-Schwester(n) getan hast, das hast Du mir getan“ (vgl. Mt 25,40).
Namasté, Shakti!
Diese Haltung ist aus meiner Sicht die Grundlage, wenn mann in einem tantrischen Kontext über polyAmor!e spricht. In jeder Frau („Shakti“) zeigt sich der weibliche Teil des Göttlichen („SHAKTI“).
Das intuitive Wissen um die SHAKTI ist in unserer christlichen Kultur tief verwurzelt, wenn auch unbewusst: Nach Erich Fromm haben Christen das männliche Gottesbild nämlich instinktiv um die Verehrung der „MUTTER GOTTES“ ergänzt und so (halbwegs) ins Geleichgewicht gebracht. Das ist die „SHAKTI-MARIA“, die Susanne erwähnt hat. Wenn man das traditionelle Bibelzitat „Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild“ (Gen 1.27) auf den SHAKTI-Aspekt fokussiert, könnte man also sagen:
„SHAKTI schuf Shakti nach ihrem Ebenbild.“
Oder, panentheistisch ausgedrückt:
„SHAKTI verkörpert sich in jeder Shakti.“ – Namasté!
Mir scheint, SHAKTI versteckt sich stets hinter einem Schleier des Rauschens, und jede Shakti gleicht insofern ein wenig einem mehr oder weniger verrauschten Fernsehbild. Jeder Nachrichtentechniker weiß: Legt man mehrere verrauschte Signale übereinander, so verbessert sich das Signal- Rausch-Verhältnis, das Bild wird klarer. (Dieser Effekt wird in Wikipedia erklärt und am Beispiel des Fotos einer Shakti gezeigt).
Sieht Mann also verschiedene Shaktis tantrisch-liebevoll, und legt vor dem inneren Auge die „Bilder“ übereinander, so kann Mann letztlich die SHAKTI („das göttliche Signal“) immer klarer erkennen. Und mit dem so geschulten Blick fällt es leichter, in der jeweiligen, individuellen Shakti ihre SHAKTI-Natur zu sehen. Und dies unabhängig vom Alter und der Art des Bezugs zu ihr. Beispielsweise freut sich meine Mutter über den Ehrentitel „Shakti-Mama“.
Eine Shakti zu lieben bedeutet – egal ob diese Liebe eine sexuelle Komponente hat oder nicht – ihre SHAKTI-Natur zu sehen. Und ihr ein Spiegel zu sein, sie also ihre eigene SHAKTI-Natur sehen und erfahren zu lassen. In diesem Sinne kann polyAmor!e helfen, in der Shakti die SHAKTI zu sehen.
Das Göttliche realisiert sich natürlich nicht nur in Frauen, aber bei ihnen fällt es mir leichter, es zu erkennen. Und Frauen in dieser Weise zu SEHEN scheint mir eine der vornehmsten Aufgaben von Männern zu sein.
Susanne gibt mir den Raum, auch anderen Shaktis zugewandt zu sein. Ihr sanfter Sog lässt meine Liebe wachsen. Und sie lässt vor allem Raum für die von ihr erwähnte Frau, die einige mir besonders wichtige Aspekte der SHAKTI in einer wunderbaren Weise verkörpert. Dass sie ihren in meinem Leben ist, ist ein Segen. Und zu erleben, wie diese beiden Frauen miteinander umgehen, öffnet mir das Herz. Wie gerne nehme ich die Umarmung der einen Shakti-Schwester für die andere Shakti-Schwester mit!
Ich mag das Wort „Polyamorie“ übrigens nicht besonders. Als alternative Schreibweise schlage ich „polyAmor!e“ vor. Das auf den Kopf gestellte „i“ ist stellvertretend dafür, dass wir bereit sind, alte Vorstellungen auf den Kopf zu stellen. Und die Liebe schreibe ich groß, nicht die Silbe „poly“. Sonst laufe ich Gefahr, die vertikale Tiefe („Amor“) gegen die horizontale Spanne („poly“) einzutauschen. Die Folge wäre, das eigene Herz, die eigene Seele nicht so tief berühren zu lassen wie es möglich wäre.
Ich denke, unser aller Herzen und Seelen brauchen einen Schutzraum. Da ist zum einen die Angst verletzt zu werden. Und da ist zum anderen das Gefühl für die Heiligkeit der Sexualität in der Liebesbeziehung zu zweit; eine Qualität, die Frauen oft stärker spüren als Männer. Es gibt also gute Gründe dafür zu glauben, die tiefe spirituell-sexuelle Seelenbegegnung sei nur in einer monogamen Beziehung möglich. Dass dies in dieser Ausschließlichkeit gilt, ist nun meine persönliche Erfahrung nicht. Aber es ist aus meiner Sicht essentiell, diesen Aspekt zu würdigen und zu bedenken.
Tantra verstehe ich als einen anspruchsvollen spirituellen Weg. Hier werden Spannungen und Paradoxien zum Wachstum genutzt, auch die zwischen unseren monogamen und polyAmor!en Wünschen. In tantrischen Beziehungen betreten wir Neuland, langsam tastend, manchmal stolpernd. Wir können uns der Herausforderung stellen, Monogamie und polyAmor!e wie These und Antithese zusammenzubringen und eine für uns und unseren Partner stimmige Synthese zu suchen. Dies ist etwas anderes als bloß ein irgendwie ausgehandelter Kompromiss. Wir stellen uns allen Aspekten, die dann auftauchen, und nutzen sie.
Wir geben damit dem LEBEN, der LIEBE, einen neuen Raum, in der sie sich ent-falten kann.
Ent-Faltung ist E-Volution.
Jörg