Mutabor – die Verwandlung des Bewusstseins im Maithuna-Ritual.
Kennt Ihr “Die Geschichte von Kalif Storch”? Er schnupfte ein Pulver und verwandelte sich mit dem Zauberwort “Mutabor” (lat.: “Ich möge verändert werden.”) in ein Tier. Als er dann lachte, vergaß er das Wort und blieb zunächst ein Storch. Dieses Märchen hat den tiefen Sinn, dass man die Verwandlung des Bewusstseins nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Auch im tantrischen Vereinigungsritual hat die “Verwandlung” des menschlichen Paares in das Götterpaar “Shiva und Shakti” ein hohes Gewicht.
Maithuna ist Sanskrit (मैथुन) und bedeutet so viel wie „Vereinigung“, „Paar“, „Hochzeit“, „Geschlechtsverkehr“. In der Sanskrit-Literatur versteht man darunter dreierlei:
- Die Statuen an tantrischen Tempeln (buddhistisch, jainistisch oder hinduistisch), welche Götterpaare in erotischer Umarmung darstellen.
- Die symbolische bzw. meditative Durchführung einer imaginären, sexuellen Vereinigung.
- Der tatsächliche, rituelle Geschlechtsverkehr, bei dem beide Partner zusammen die Funktion eines Götterpaares einnehmen.
Was diese drei Bedeutungen gemein haben, ist der Anspruch, dass es sich bei dieser Art der Vereinigung zumindest um eine Annäherung an die Verkörperung des Göttlichen handelt. Ob im Neo-Tantra oder in den traditionellen tantrischen Richtungen … dies scheint immer das vornehmste Ziel zu sein: Die TeilnehmerInnen des Vereinigungsrituals in einen möglichst gottähnlichen Zustand zu bringen, um mit diesem Ausgangspunkt in einem hohen Bewusstsein und viel Energie überragende Wirkungen zu erzielen. Als solches ist daher das Maithuna-Ritual ein klassischer, magischer Akt und unterliegt daher auch allen Gesetzmäßigkeiten magischer Handlungen.
Ich kann mich erinnern, dass ich nach einem meiner Meinung nach “völlig abgefahrenen”, spirituellen Erlebnis zu meinem Lehrer ging und ihm voller Enthusiasmus davon erzählte. Ich war davon überzeugt, einen durchschlagenden Erfolg in meiner spirituellen Entwicklung gemacht zu haben. Doch mein Meister dämpfte meine Hochstimmung. Er sagte: “Das sind nur Gefühlswerte. Du solltest dem kein Gewicht beimessen.“ Ich war natürlich sehr enttäuscht. War ich mir doch sicher gewesen, der Erleuchtung einen entscheidenden Schritt näher gekommen zu sein.
Im Maithuna-Ritual kann eine solche Fehleinschätzung fatale Folgen haben … wenn man zumindest den Lehren des traditionellen Tantras Glauben schenkt. Extrem leidenschaftliche Gefühle, wie sie im erotischen Tantra mitunter hervorgerufen werden können, ziehen die Dämonen an wie das Licht die Motten. Um eine Diskussion über die autonome Existenz von Geistern und Dämonen zu vermeiden, möchte ich mich hier auf den Standpunkt zurückziehen, dass das, was traditionell unter “Dämonen” verstanden wird, in der modernen Psychologie die Schattenanteile der Psyche sind. Diese negativen Aspekte gilt es zu vermeiden.
Das sogenannte “Negative”, also die nicht-integrierten (!) Schattenseiten der Persönlichkeit befinden sich nach traditionell tantrischer Psychologie in den unteren drei Chakras. Dies ist der eigentliche Grund hinter der märchenhaft anmutenden Überhöhung des Paares in Shiva und Shakti, also in den männlichen und weiblichen Aspekt des Göttlichen. Der Zorn Kalis oder der vernichtende Blick Shivas sind erhaben. Sie haben nichts gemein mit der kleinen menschlichen Wut und Zerstörung. Sie haben im Gegenteil eine kosmische Relevanz. Kali tötet und gebiert und erzeugt so den Kreislauf des Seins. Shiva vernichtet das Böse bzw. löst am Ende der Zeiten alle Materie auf. Die göttlichen Gefühle befinden sich jenseits der Stürme in unseren Kaffeetassen.
Daher legt das traditionelle Tantra einen sehr hohen Wert auf Transfiguration (oder Transformation, wie es manchmal im Neo-Tantra genannt wird) … auch außerhalb des Maithuna-Rituals. Bevor man also ein Vereinigungsritual zelebriert, sollte man einen möglichst hohen Grad innerer Verwandlungsfähigkeit erreicht haben, da sich Energie und Bewusstsein der beiden Partner nicht nur addieren sondern multiplizieren. In einem Chakrapuja, bei dem auch noch Partner gewechselt werden, kann man von einem Potenzieren von Energie und Bewusstsein sprechen! Dies gilt im Positiven wie im Negativen.
Das Maithuna-Ritual hat sich nicht aus hedonistischen Gründen entwickelt. Es ging im Tantra nie um reine Luststeigerung … obwohl diese ein direkter Nebeneffekt sein kann. Es ging jedoch schon immer um das Kanalisieren der Energie. Viele Methoden und Techniken geben daher auch keine moralische Richtung vor, wie das beispielsweise im Yoga der Fall ist. Man kann mit dem gleichen, rituellen Ablauf Erleuchtung erlangen, sein Bankkonto auffüllen oder einen Fluch in die Welt schicken. Doch egal wofür man es verwendet, man muss zunächst so viel Energie wie möglich erzeugen ( = Lust) und diese dann möglichst vollständig fokussieren ( = Bewusstsein). Dies bedeutet, dass man sich im Moment der höchsten Lust vollkommen von dieser dissoziiert und auf den Orgasmus verzichtet. Wenn man sein Ego bereits hinter sich gelassen hat, ist das kein Problem. Für alle anderen gibt es die Transfiguration.
Die Transfiguration ist für Tantriker wie ein kostbares Geschenk. Die alten TantrikerInnen haben sie überliefert, damit auch diejenigen, die ihr Ego noch lange nicht hinter sich gelassen haben, während des Rituals ihre persönliche Geschichte vergessen können. In dem Maße, wie dies gelingt, gelingt auch das Ritual. Unser Ego weiß jedoch, dass mit dem Betreten des rituellen Raums sein letztes Stündchen geschlagen hat … zumindest für eine gewisse Zeit. Ich habe schon Situationen erlebt, in denen direkt vor der Tür des Ritualraums, kurz vor dem Betreten desselben unglaubliche Streitereien zwischen den TeilnehmerInnen losbrachen, meist über völlig belanglose, irrwitzige Dinge. Die Egos bäumten sich noch einmal auf … Solche Begebenheiten sind Tests. Schafft man es nicht, den Ritualraum zu betreten und das Ritual zu beginnen, hat man nicht bestanden.
Ist man jedoch im Ritual angekommen und beginnt den symbolischen Ablauf, der die Persönlichkeit förmlich zerlegt und durch das Bewusstsein einer Gottheit ersetzt, dann werden plötzlich Dinge möglich, die im Alltagsbewusstsein unvorstellbar sind! Dies kann von dem Entdecken zuvor unbekannter Eigenschaften wie Güte, selbstlosem Mitgefühl oder grenzenlosem Weitblick bis hin zu spontanem Samadhi reichen. Maithuna ist wie ein Ausblick in eine mögliche Zukunft, wobei das eigene, ungeahnte Potential spontan zur Verfügung steht und für kurze Dauer entfaltet wird.
Gleichzeitig wird diese Zukunft auch möglich. Unsere göttlichen Anteile, die im Ritual aktiviert wurden, wirken aus dem Unterbewusstsein auf unser profanes Leben. Die Gottheit schält sich langsam heraus und verwirklicht sich in uns. Je mehr Raum wir dem geben und je öfter wir Maithuna praktizieren, umso intensiver ist diese Wirkung. Maithuna ist wie ein Urlaub von uns selbst, aus welchem wir die Götter als blinde Passagiere in unseren Alltag mitbringen.
Text: Johannes Bönig
Webseite: www.tantrayoga.site
Hallo Johannes, der erste Teil deines Beitrags macht mir Mühe und ich begreife nicht, was du damit sagen willst.
Im zweiten Teil werde ich wacher und neugierig auf die Droge, die mir da versprochen wird……
Nun bin ich aber doch Realist genug, dass ich die nicht ausprobieren muss.