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Meine Betrachtung des Themas bezieht sich gleichermaßen auf Therapeuten und Therapeutinnen, Seminarleiter*innen, Tantramasseur*innen, Assistent*innen und alle Personen, die in der Arbeit mit Menschen verantwortliche Rollen einnehmen. Alle damit verbundenen Aspekte im Rahmen dieses Beitrages zu beleuchten, würde den Umfang sprengen. Daher lade ich alle Interessierten ein, in den Kommentaren weiterführende Fragen zu stellen und/oder eigene Erfahrungen zu teilen.

„Zwei Seelen wohnen – ach – in meiner Brust“

Neulich wurde ich wieder gefragt: „Wenn Du so ein Seminar leitest und siehst, wie die Teilnehmenden mit großer Herzenswärme und in hoher Lust miteinander sind, magst Du dann nicht gerne mitmachen?“ Meine Antwort war ganz klar: Ja, ich spüre den Anteil in mir, der das gerne möchte, doch der Teil in mir, der die Rolle der professionellen Leitung übernimmt, hat Priorität. Und zu dessen Grundsätzen gehört, mich nicht einzumischen. Als Beobachter bin ich bereits genug involviert, um in dem Feld der Teilnehmenden einen Unterschied zu etablieren.

In meiner Ausbildung und als Assistent habe ich des Öfteren erlebt, dass mir entweder mit größerer Neugierde oder aber auch mit größerer Scheu begegnet wurde. Assistenzen und Leitung haben womöglich den (bewusst oder unbewussten) Ruf, etwas „Besonderes“ zu sein. Im Umfeld des Tantra also vermutlich auch in den sexuellen Disziplinen. Oftmals wird den Assistenzen auch zugemutet, Übungen und Rituale mit jedem Menschen zelebrieren können zu müssen, was ich für übergriffig halte. Wahr ist, dass Assistenzen durch ein Mehr an Erfahrung auch unvorhersehbare Situationen besser meistern können.

Umgekehrt wurden mir schon häufig Erfahrungen von Teilnehmenden zugetragen, dass Seminarleitung (aber auch Assistenzen) ihre Stellung ausnutzen, um sich die „Perlen und Edelsteine“ unter den Teilnehmenden unter den Nagel zu reißen, sprich: zu vögeln. Meiner Ansicht nach hat eine professionelle Leitung ihre Bedürfnisse an anderer Stelle und zu anderen Zeiten ausgelebt und so gut für sich gesorgt, dass sie auf diese Weise entspannt und aus einer inneren Fülle heraus die (Seminar-)Leitung übernimmt.

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie

(Gunther Schmidt)

Gerade wenn die Praxis sexueller Begegnungen in Sexualberatungen, Tantraseminaren oder Massagen zum Thema wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass nicht nur darüber gesprochen wird, sondern die Penetration zum „Höhepunkt“ der Unterweisung führt. Solange dies im Rahmen von („roten Tantra-“) Seminaren, oder auch außerhalb der Seminarzeiten mit den entsprechenden Hygiene- und Schutzstandards unter den Teilnehmenden geschieht, gehen wir davon aus, dass diese sich ihrer (Selbst-)Verantwortung bewusst sind und danach handeln.

Kritischer wird es in 1:1-Begegnungen mit professionellem Charakter. Hier schauen die Klient*innen bisweilen zu ihrem Gegenüber auf, setzen ihn oder sie auf einen Sockel, wenn nicht sogar als „Guru“ auf die Spitze eines emotional unerreichbaren Berges. Dann kann es für den Lehrenden zur Herausforderung werden, sich freundlich abzugrenzen, sofern seine eigenen ethischen Vorstellungen dies gebieten.

Ethische Richtlinien und Grundsätze

In den ethischen Richtlinien und Grundsätzen von Verbänden für therapeutische Berufe heißt es zum Beispiel: „Die Beziehung zwischen Therapeuten/Lehrenden und deren Klienten/Teilnehmenden ist – bei aller damit verbundenen Einfühlung und Nähe – eine professionelle Beziehung. Wird diese zur Befriedigung persönlicher, emotionaler oder sexueller, wirtschaftlicher oder sozialer Interessen missbraucht, stellt dies einen klaren Verstoß gegen die Ethik-Richtlinien dar.“

Bedauerlicherweise existieren derartige Richtlinien und Grundsätze – mangels Berufsverbänden – meines Wissens nicht für Tantraseminare. Der Tantramassageverband (TMV) setzt in seinem Leitbild allerdings klare Grenzen für die Durchführung von Tantramassagen.

Lehrer-/Schüler-Verhältnis und therapeutische Beziehung

Eine im weitesten Sinne therapeutische Beziehung – und dazu zähle ich ebenso die Beziehung zwischen Seminarleitung, Assistenzen und Teilnehmenden, tantrisch Massierenden und Empfangenden – stellt einen Schutzraum zur Verfügung, in welchem alle Gedanken, Gefühle und Phantasien geäußert werden können. Innerhalb dieses Schutzraumes können sich durchaus Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Beteiligten entwickeln. Daher ist es besonders wichtig, „dass der Therapeut / die Therapeutin seine/ihre eigenen Gegenübertragungsgefühle und -phantasien ausschließlich zum Verständnis der intrapsychischen Welt des Patienten/der Patientin und zur Förderung von dessen/deren Gesundungs- und Entwicklungsprozesses nutzt.“

Es gehört zur unabdingbaren Haltung der Lehrenden, ihre Schüler*innen respektvoll in ihrer Andersartigkeit und Selbstbestimmung zu achten und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, selbst wenn der Kontext (Seminar, Beratung, Massage) ein „Informationsgefälle“ zu haben scheint. Diesen Umstand könnten die Beteiligten als Einladung verstehen, die Beziehung in eine Dysbalance „oben/unten“ kippen zu lassen.

„Es ist deshalb im Sinne des Abstinenzgebotes ein Kunstfehler, wenn der Therapeut / die Therapeutin eigene Bedürfnisse emotionaler, sexueller, wirtschaftlicher und sozialer Art mißbräuchlich realisiert – auch dann, wenn der Patient/die Patientin dies bewusst wünscht.“

Fazit

Meine Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage könnte von Radio Eriwan stammen: es kommt auf den Kontext an. In einer professionellen Begleitung gilt das oben Gesagte, während in einer freundschaftlichen Beziehung oder anderen Kulturkreisen abweichende Regeln zum Tragen kommen. Ein für mich vorbildliches Verhalten eines meiner Lehrer will ich hier beschreiben: als sich herauskristallisierte, dass eine partnerschaftliche Beziehung zu einer seiner Schülerinnen entsteht, hat er das Lehrer-Schüler-Verhältnis mit ihr beendet. Eine Paarbeziehung geht weit über die professionelle Begleitung hinaus und beide lassen sich auch nicht (oder nur auf Kosten der einen oder anderen Seite) miteinander vereinbaren.


Text: Klaus Peill

Web: www.quinta-essentia.de


Ethik-Richtlinien und Leitbilder:

https://dgsf.org/ueber-uns/ethik-richtlinien.htm

https://systemaufstellung.com/sites/default/files/oeffentliche_dokumente/ethikrichtlinien_2022-08.pdf

Ist sexuelle Vereinigung Teil tantrischer Lehrpraxis?
Markiert in:                                                            

Klaus Peill

Klaus Gabriel Peill, Jahrgang 1961, Tantra- und Reiki-Lehrer, Familiensteller und spiritueller Wegbegleiter. Als ausgebildeter Bankkaufmann, Elektroingenieur und Tonmeister war er 20 Jahre in der Vermarktung professioneller Audiotechnik tätig. Seit April 2010 selbständiger Gesundheitspraktiker (BfG) mit Schwerpunkt Persönlichkeitsbildung leitet er Seminare und gibt körperorientiertes Einzel- und Paarcoaching als Lebenshilfe und Begleitung in Lebenskrisen & Veränderungsprozessen.

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