Birgit: „Weißt du, mit den Wechseljahren kam dieser ganze Wirbel im Hormonhaushalt. Hat mich ganz schön ins Wanken gebracht.“

Andreas: „Naja, bei uns Männern redet man nicht von Wechseljahren, aber irgendwas ist definitiv anders geworden. Und ja, das hat unser Liebesleben ziemlich beeinflusst.“

Birgit: „Interessant, oder? Bei einigen Freundinnen von mir flaute die Lust ab 50 total ab, während sie bei anderen erst aufblühte. Keine Angst mehr vor einer Schwangerschaft – könnte das ein Grund dafür sein? Bei mir war’s ein ständiges Auf und Ab der Lust, es war aber nicht unbedingt weniger intensiv.“

Andreas: „In meiner Männergruppe haben wir ziemlich offen die Rolle des Alterns beim Sex besprochen. Scham ist für viele ein großes Thema, aber es wurde klar, dass jeder von uns es anders erlebt. Manche vermissen den jugendlichen Drive, andere genießen die neu gewonnene Gelassenheit. Und einige greifen zu Viagra, aber das war nie mein Ding. Dieser Druck, performen zu müssen – nicht mein Ding.“

Birgit: „Ich bin dankbar, dass Andreas sich so gelassen mit dem Älterwerden zeigt. Es hilft mir enorm, meine eigenen Schwankungen anzunehmen. Es fühlt sich an, als ob die Hindernisse, die schon immer da waren, jetzt ohne den jugendlichen Drive viel offensichtlicher werden. Ich musste echt lernen, dass der Orgasmus nicht das Ziel aller Dinge ist.“

Andreas: „Heute schätzen wir mehr das Fließen unserer Lust, es muss nicht mehr alles auf den Höhepunkt zusteuern. Unsere Intimität steht jetzt mehr im Vordergrund, nicht die pure Erregung.“

Birgit: „Es gab Zeiten, da waren unsere Bedürfnisse total unterschiedlich. Das war nicht immer leicht. Aber zum Glück waren wir nie in so einer festgefahrenen Situation wie manche Paare aus unserem Freundeskreis. Mal wollte ich mehr, mal er.“

Andreas: „Diese Herausforderungen packt man am besten, wenn man sich als Team sieht. Zusammen nach Wegen suchen, wie man mit unterschiedlichen Wünschen umgeht.“

Birgit: „Ein paar Sitzungen bei einer Paartherapeutin haben uns da echt weitergebracht.“

Andreas: „Ohne die wär‘ ich jetzt nicht so ’n Philosoph. Über Sex zu reden, das muss man erst mal lernen.“

Sex, Herz und BIndung

Birgit: „Genau, dieses ewige Vorwürfe-Machen hat uns nicht weitergebracht. Oder dem anderen irgendwelche Defizite anzuhängen – da war ich Meisterin drin.“

Andreas: „Da möchte ich dir jetzt nicht widersprechen.“


Der Dialog ist meinem neuen Buch „Sex, Herz und Bindung. Dein Liebesleben selbstbestimmt komponieren. Die Dreieckstheorie der Liebe 2.0“ entnommen. Die drei Dimensionen auseinanderzuhalten, ist in allen Lebensphasen hilfreich, im Alter aber auf besondere Weise. Ohne dass wir es immer frei wählen könnten, verändert sich der Körper und mit ihm das Begehren. Unsere Vorlieben verändern sich und wie wir damit umgehen, muss in einer Beziehung neu ausgehandelt werden. Wie gestalten wir den Sex, wenn er nicht mehr so „funktioniert“ wie früher? Öffnen wir die Beziehung, wenn eine(r) auf Sex keine Lust mehr hat? Wie ändert sich die Bindung, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder wir in Rente gehen und andere zeitliche Ressourcen haben? Was wird aus der Liebe, wenn die Zipperlein zunehmen und wir in neue Abhängkeiten geraten? Die Veränderungen bringen Herausforderungen mit sich, aber auch Chancen für eine neue Stufe der Intimität.

Das Wichtigste ist aus meiner Sicht die offene, unvoreingenommene, empathische Kommunikation, gerade auch über Themen, die wir vielleicht lange verdrängen konnten, aber nun nicht mehr. Der obige Dialog ist ein Beispielt dafür. Paartherapie und auch Tantragruppen sind eine gute, wenn auch sicher nicht die einzige Möglichkeit zu lernen, offen über Bedürfnisse in Bezug Sex, Herz und Bindung zu sprechen. Sich derart zu öffnen macht verletzlich, alte Wunden können hochkommen, Konflikte wieder aufflammen. Aber ich finde, auf Zeit zu spielen macht im Alter nicht mehr so viel Sinn – wenn es das überhaupt jemals getan hat.

Mit der Dreieckstheorie der Liebe 2.0, einer Weiterentwicklung des bekannten Konzepts von Robert Sternberg, entwerfe ich eine möglichst präszise Landkarte, um im ­Liebesleben bewusster zu navigieren. Sex, Herz und Bindung besitzen eine jeweils eigene Energie und Dynamik. Wer diese Unterschiede versteht, lebt eher Beziehungen, die zu den eigenen Wünschen und Sehnsüchten passen. Das hilft auch für die Sexualität im Alter. Indem wir uns von Konventionen lösen, was im reifen Alter noch als „angemessen“ angesehen wird, und unseren eigenen Weg finden, können wir dem Sex mit größerer Gelassenheit einen passenden Platz einräumen.

Wie sind deine Erfahrungen mit und Vorstellungen vom Sex im Alter? Gerne kannst du unten deinen Kommentar hinterlassen.

Mehr Infos zum Buch


Text: Saleem Matthias Riek

Website: www.schule-des-seins.de

Es muss nicht mehr alles auf den Höhepunkt zusteuern – ein Dialog im reiferen Alter
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Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist 1959 geboren, Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge, Buchautor und lebt bei Freiburg im Breisgau. Seit 1986 erfolgreiche therapeutische Arbeit mit Einzelnen und Gruppen, seit 1992 mit den Schwerpunkten Liebe, Erotik, Paarbeziehung und Tantra, seit dem Jahr 2000 auch in der Ausbildung von Gruppenleitern tätig. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Weitere Bücher, darunter ein Roman, sind in Vorbereitung.

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