Ich schneide eine große lila Zwiebel in kleine Würfel und gebe sie zum Salat.
Sie duftet perfekt und ihre einzelnen Schichten legen sich Schale für Schale aneinander, eingebettet in dünne Häute, bis ich sie ihrer Bestimmung zuführe.
Ohne dass die Zwiebel das weiß oder bewusst beeinflusst ist sie im Bausatz perfekt so wie sie ist und versucht nichts anderes zu sein als ein wunderbares Gewächs der Gattung Allium.
Sie hat nichts gegen das was geschieht und reiht sich anmutig ein in den Ablauf der Natur.
So ist sie gedacht und so steht sie gleichwertig neben allem was lebt und wirkt.
Sie zu essen macht mich zu einem Menschen mit Zwiebelanteilen – zumindest zeitweise gut gebläht und tantrisch furzend befreit – je nach Betrachtungswinkel auch etwas länger und es liegt an mir wem ich das anteilig schon erlauben will oder noch vermeiden muss und wie ich philosophisch dazu stehe. Ich beeinflusse die Wirkung der Zwiebel mit, je nachdem wie willkommen sie mir ist und wie verbunden ich mich schon fühlen kann mit dem Gegenüber das bekömmlicherweise so ganz anders ist als ich. Das hört sich irgendwie schräg an, macht aber Sinn. Die Zwiebel und ich ergänzen uns vortrefflich. Sie bereichert mich und macht mir Appetit.
Wer kennt das nicht, dass gerade Essen, das man schon mit Widerwillen isst nicht wirklich Wohlbefinden in den Bauch bringen kann und dass schon im Vorfeld einer Mahlzeit viele Menschen ihr Essen segnen und im Handkontakt erfühlen, ehe sie es bewusst essen möchten.
Es lohnt also da mal genauer hinzusehen, reinzuspüren, Erfahrungen zu sammeln und zu überdenken welchen Wert und welche Wichtigkeit gesunder Nahrung zukommen sollte, ohne sie zu einem goldenen Kalb zu machen, das in jedem Jahr von neuen Modeschöpfern umtanzt werden muss, gleich ob frutarisch-vedisch-yogisch oder steinzeitlich-tyrannosaurisch-schaurig.
Essen zubereiten ist in der Pandemie eine meiner Leidenschaften geworden.
So wird es Zeit die Nahrung auch einmal zum tantrischen Thema zu machen.
Ich bin verbunden mit allem was ist – auch mit der Zwiebel in meinem Salat, nicht nur weil sie nach Genuss gesund wirkt und einprägsam meinen Atem färbt, sondern auch weil sie zu mir wird mit allem was sie mir geben kann, ehe sie mein System nach und nach wieder verlässt.
Das ist Grund genug ihr zu danken und sie dafür zu schätzen, dass sie meinem Leben Würze und meinem Körper Vitamin C und B, Kalium und viele Antioxidantien zur Verfügung stellt.
Dies ist möglich und verträglich, weil wir beide gemeinsam lebendig sind und uns so unähnlich, dass ich davon profitieren darf ihre Energie meiner hinzuzufügen. Sie lässt ihr Leben dem meinen zugunsten ohne dabei verloren zu gehen, eine Transformation die natürlicher nicht sein könnte.
Seit ich ein wenig älter bin mache ich mir darüber Gedanken was mir gut tut und bevorzuge essen das ich energetisch und geschichtlich auch gerne sein möchte bzw. was meinen Körper leicht und freudig passieren kann ohne mich zu beschweren, zu verletzen oder zu behindern.
Vielleicht kommt das daher, dass ich mich – wie so viele über 50 – gerne möglichst gesund aufs Sterben vorbereiten will.
Genauer gesagt, ich bin sterblich und versuche mit den täglichen Mitteln bis zu diesem unausweichlichen Punkt möglichst wenig negative Energie zu tragen, die mich vorzeitig desolat machen könnte. Im Gegenteil dessen möchte ich Hilfe, so dass ich freudig viel und fern vermeidbarer Krankheiten von meinem letzten Lebensdrittel habe, ehe ich abtrete.
Essen ist im Tantra keine Religion und nicht religiös belegt, sondern wird in seiner Einfachheit rituell benutzt. Es ist kein übersteigerter Kult, sondern bleibt Nahrungsaufnahme aber eben in größtmöglicher Bewusstheit und frei von Tabus und Wiederstrebung, sofern das Nahrungsmittel dies ohne allzu große Gegenwehr zulässt.
Naturverbundene Völker bedanken sich bei den Kreaturen und Wesen, die ihre Energie zur Verfügung stellen – mehr oder weniger freiwillig – das Leben ist ein Kampf, wo Eines nicht freiwillig ins Andere übergehen mag. So macht die Natur eine Qualitätssicherung des noch nicht Verwertbaren, die der vermeintlich höhergestellten – weil wehrhafteren Lebensform halt oft zu Nutze kommt.
Dass sich manche Dinge nur einmal essen lassen mussten sicher auch frühe Tantriker erfahren und dass die heilige Kuh nicht dazu gehört steht symbolisch für die freche und befreiende Art des Stinkefingers den Tantriker rituell den Nahrungsaufnahmeregeln entgegenstrecken.
Wo nicht verurteilt wird, da wird eben auch nicht ausgeschlossen, denn der Tantriker misstraut nichts was sich schadlos essen lässt und pfeift auch hier auf Sitte, Anstand und Moral.
Was ich esse wird zu mir, also verantworte ich mich dafür was das sein darf ohne Unterschied zwischen den tierischen oder pflanzlichen Möglichkeiten.
Essen ohne verheerende Geschichte und bindende Widerstände im Körper mit kurzer Verweildauer tut yogisch gut, aber alles andere verbietet sich tantrisch eben auch nicht.
Was essbar ist macht sich solange es lebt zur Speise und so sichtbar einfach Perpetuum mobile fähig der Wiedergeburt im System von Fressen und gefressen werden.
Ein Essen nach den 5 Ms – der rottantrisch-rituelle Genuss ohne Ausschlüsse und Widerstände gehört gerade deshalb zum lukullischen Anteil der Zeremonie, sei es durch gegenseitiges Füttern der Ritualpartner mit Fleisch, Fisch, Obst und Wein oder durch bewusstes Überschreiten gesellschaftlicher Grenzen und Ekelthemen, wenn die mit Blut gefüllte Schädelschale die Runde macht.
Neben der Befreiung von Scham, Schuld und moralischem Widerstand ist erotisches Essen dann auch noch ergänzend eine sehr geile Handlung mit hoher Energie, die ich mir einverleibe.
Zu allem was ist kann durch Bewusstheit eine Beziehung aufgebaut bzw. fühlbar gemacht werden die auch vor der Vernetzung mit der Zwiebel nicht Halt macht.
Ekstatisch sein schließt logischerweise unzensiert von Lebensbeginn an Zunge Mund und Nase ein und die Phantasie darf das erweiterte sexuelle Yantra unterstützen was wir von Gurke, Zucchini, Auster und Erdbeere ja zur Genüge kennen.
So entwickle ich sogar im Alltag eine erotische Beziehung zu meinem Gemüse und finde meine Zwiebel geil, heiße sie in mir willkommen und bin mir sicher, dass dies auch mir einmal von der Welt zu Teil werden wird, wenn ich in veränderter Form wieder im großen Kreislauf eine Runde drehen darf. Daran etwas ändern zu wollen wäre ein sinnloses Unterfangen wie das Rudern gegen einen Strom, der ins Meer führen muss.
Wir sind eins – im Leben wie im Tod – und ich kann täglich üben mich dem hinzugeben, eigene Entscheidungen treffen was mir gut tut, ohne durch Ablehnung meine Türen zu verschließen oder den Andersentscheidenden und seine Aspekten zu verurteilen und zu glauben, dass ich ihm in der Illusion des sich unterscheidenden Gutmenschen dadurch entkommen kann.
Vegetarier und fleischfressende Pflanzen aller Länder vereinigt Euch – Philosophie hin oder her.
Spätestens auf meinem Grab wächst das verschmähteste Schlottengewächs auch ohne mein psychisches Zutun und wartet auf seine Bestimmung der Metamorphose mit und ohne mein Einverständnis.
Ätsch! Mahlzeit!
Dieser Text ist Andro gewidmet, dessen Einstellung zu tantrischem Essen und Beziehung zu Knoblauch und Zwiebel sich mit meiner stets gedeckt hat. Was lebendig ist darf Speise sein – Danke für die Inspiration meiner wertungsfreien Essensbetrachtung.
Text: Michaela Faridéh, März 2022
Webseite: http://www.animatantra.de/
Der kleine Unterschied Ein Mann bat Gott im Traum, ihm Hölle und Himmel zu zeigen. Der Mann sah einen Raum in dessen Mitte sich auf einer Feuerstelle ein grosser Topf mit köstlichstem Essen befand. Um die Feuerstelle saßen Menschen die abgemagert und elend aussahen. Alle schöpften mit langen Löffeln aus dem selben Topf, doch sie konnten das Essen nicht zum Munde führen, denn die Löffel waren viel zu lang. Das konnte wohl nur die Hölle sein. In einem weiteren Raum zeigte Gott dem Mann den Himmel. Alles war genau so wie in dem Raum zuvor, nur sahen die Menschen wohlgenährt und glücklich aus. Sie fütterten sich mit den langen Löffeln gegenseitig, gaben einander und empfingen zugleich und alle wurden satt. (In Anlehnung an ein russisches Märchen)