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Tantra und BDSM

Es war in den frühen Tagen meiner Laufbahn als Tantralehrerin. Ich hatte gerade zwei, drei Saisonen in dieser neuen, faszinierenden Rolle absolviert und war stolz auf mein wachsendes Geschick und Verständnis. Da bekamen wir eine Anfrage herein: Ein BDSM-Klub in Wien fragte an, ob wir nicht einen Vortrag über Tantra halten könnten. Da mein damaliger Partner und ich dem Thema BDSM offen gegenüberstanden und diesen Vortrag als Chance sahen, Tantra bekannter zu machen (damals, etwa 1998, war das Thema noch deutlich mehr von Vorurteilen belastet als heute) sagten wir gerne zu.

Ein großer Tisch in einem In-Lokal; etwa zwanzig Augenpaare gespannt auf uns gerichtet. Wir legten los.
Wir erzählten von Seminaren, von Persönlichkeitsentwicklung, Überwindung alter Ängste, von Gruppenzusammenhalt und tiefen Freundschaften.
Wir betonten Achtsamkeit und Langsamkeit; wir hoben Eigenverantwortung, Hingabefähigkeit und die Kunst, klar Ja und Nein sagen zu können, hervor.
Wir sprachen von feinfühligen Ritualen, die unsere Teilnehmer*innen in ungeahnte, neue Erfahrungswelten katapultierten.
Wir beschrieben die Wahrnehmung von Energieströmen, Gefühle der Verbundenheit jenseits aller Worte, Momente voller vibrierenden Glücks und Geborgenheit.

Danach war Fragestunde. Alles lief gut.
Zuletzt hob einer der Anwesenden die Hand und formulierte sorgsam und bedächtig: „Ich höre euch zu … und ich kann nur sagen, das hätte auch ein Vortrag über BDSM sein können.“
Verdutzt wollte ich unterbrechen, doch er fuhr fort: „Schau … ohne klares Ja und Nein kann safe play nicht stattfinden. Der Gruppenzusammenhalt hier um den Tisch ist ebenfalls offensichtlich. Wenn wir miteinander spielen, erfahren wir extrem tiefe Hingabe und gleichzeitig ist maximale Eigenverantwortung gefordert, denn der Sub leitet das Spiel. So wie eure Rituale, sind auch unsere Spiele sind bis ins feinste Detail ausgearbeitet. Weiter: Ohne Achtsamkeit geht bei BDSM gar nichts. Energieströme? Momente vibrierenden Glücks? Kann ich alles abhaken. Sich den innersten Ängsten stellen? Machen wir. Ihr befasst euch mit bestimmten Aspekten der Sexualität – wir befassen uns mit bestimmten Aspekten der Sexualität. Im Wesentlichen also ist, so wie ich es sehe, Tantra nichts anderes als BDSM.“

Verblüfft führten wir einiges an, das dieser Sichtweise widersprach. Es hielt nicht. Wir konnten nur zusehen, wie sich die Anwesenden begeistert dem Sprecher anschlossen.

Auf dem Heimweg war ich schweigsam. Es wollte mir nicht in den Kopf: Ja, er hatte mit allem Recht, was er vorgebracht hatte. Doch ich wusste, auch wenn ich noch keine Worte dafür hatte: Tantra und BDSM sind definitiv nicht dasselbe. Doch was genau machte den Unterschied aus? Ich verbrachte viel Zeit damit, darüber nachzudenken.

War es die Grobheit, oft sogar bewusste (wenn auch nur gespielte) Gewalt in Wort und Tat, die mit Tantra unvereinbar schien? Anzunehmen; denn während auch Tantra sich energetisch gesteigerter Zustände erfreut, sind doch die Methoden um diese zu erreichen stets respektvoll und voller Verehrung für das Gegenüber: Grobes Handeln oder Sprechen ist Tantra fremd.
War es die Rollenverteilung auf Sub und Dom, also einen der scheinbar sagt, wo es langgeht, und den anderen, der sich scheinbar unterwirft? Im Tantra sind die Beteiligten immer auf Augenhöhe, sich der Göttlichkeit des Gegenübers bestmöglich bewusst. Ein „Dominieren“ wäre so unpassend wie Vanilleeis mit Bratensaft.
Sich den eigenen Ängsten zu stellen ist zweifellos ein großes Thema bei BDSM, und ihnen mutig und direkt entgegenzutreten ist ebenso Teil von Tantra-Seminaren; allerdings sind Tantralehrer (hoffentlich) so gründlich ausgebildet, dass sie allfällige emotionale Ausbrüche und Tiefschläge, die bei solchen Begegnungen auftreten können, ebenso liebevoll wie und professionell abfangen.

Trotz dieser Überlegungen in die richtige Richtung brauchte es mehrere Jahre und einiges an zusätzlicher Erfahrung auf dem Gebiet, bis ich eine für mich selbst zufriedenstellende Antwort finden konnte.
Der Schlüssel lag in der Verwendung der Sexualität.
Während im BDSM Sexualität eher Selbstzweck ist, ist sie im Tantra lediglich ein Mittel zum eigentlichen Zweck: Dem Aufbau von so viel Energie, dass die herausfordernden Aufgaben nachhaltiger Persönlichkeitsentwicklung (wie Selbst-Bewusstsein, Achtsamkeit, Gelassenheit, Mitgefühl, Geduld, Freiheit von Angst, Gewohnheit und Vorurteil) bewältigt werden können. Das Ziel dieser Entwicklung ist letztendlich das Erwachen.

Vor ca. 10 Jahren setzte eine Tendenz ein, bei der Tantra und BDSM immer öfter in einem Atemzug genannt wurden, auch von Profis auf dem jeweiligen Gebiet. Dabei kam es oft zu Gleichsetzungen, die mich an den damaligen Vortragsabend erinnerten.
Als Antwort darauf entwarf ich das Seminar Herzschlag, das fortgeschrittenen Tantra-Übenden nun alljährlich einen Einblick in die Welt und die Strukturen des BDSM bietet. Dieses (übrigens regelmäßig ausgebuchte) Seminar erforscht einerseits die verbindenden Elemente zwischen BDSM und Tantra – Achtsamkeit, Hingabefähigkeit, Konfrontation mit Ängsten etc. -, arbeitet andererseits aber auch sehr klar und nachvollziehbar die Unterschiede zwischen beiden Zugängen heraus. Absolvent*innen dieses Workshops erwerben dabei unter anderem die Fähigkeit, einer Runde Interessierter diese entscheidenden Unterschiede zu erläutern – und zwar deutlich besser als ich es damals konnte.

Text: Dr. Helena Krivan, ©2019

Webseite: http://www.tantra.at/

Der Unterschied
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Helena Krivan

Dr. Helena Krivan, Life Coach, dipl. Sexualpädagogin, Aufstellungsleiterin, Tantralehrerin und Autorin. Seit 1997 Co-Leitung des Instituts Namasté für Persönlichkeitsentwicklung und Tantra. Lebt und arbeitet in Österreich und Kanada.

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