Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich eine ganz klare Vorgabe: Wer Tantra lehrt, lässt sich niemals mit Tantraschülern ein. Das galt (und gilt noch immer) für mich selbst. Früher war es auch für meine Coleiter/innen ungeschriebenes Gesetz und für alle, die bei den BeFree Seminaren anleiten wollten.
Inzwischen ist mein Team so groß geworden, dass diese Regel kaum noch einzuhalten ist. Wenn von 100 Leuten allein 25 im Team sind, ist es nicht vertretbar, dass sie draußen als Zuschauer sitzen sollen – wie ungebetene Gaffer bei intimen Prozessen. Deshalb machen alle beim Seminar mit, sofern es ihre Assistentenaufgaben zulassen. Wenn sie also mitten im tantrischen Geschehen sind, wer hat dann Einfluss darauf, wann und wohin Amor seinen Pfeil abschießt? Also kommt es immer wieder vor, dass sich eine Liebelei zwischen einem Anleitenden und einer Teilnehmer/in anbahnt. Aktuell spüre ich in mir nicht die Energie, einen Stopp, eine Regel, eine Vorgabe zu installieren, auch wenn bisweilen Rufe danach laut werden.
Viel zu oft habe ich erlebt, dass Vorschriften hintergangen werden. Für mich ist es nicht angenehm, wenn sich meine Assistenten oder Coleiter dann heimlich mit Teilnehmern treffen und damit unsere Atmosphäre von Offenheit und Vertrauen zerstört wird. Mir als Tantralehrerin widerstrebt es, in solchen Fällen zur Sittenpolizei zu mutieren.
Manche Gruppenleiter halten es so, dass eine sich anbahnende Liebe erst nach Ende eines Seminares ausgelebt werden soll. Also Sex während des Seminares nein, danach ist es ok. Stellt sich die berechtigte tantrische Frage, wo Sex beginnt? Ich persönlich finde, es gibt für den Anfang einer Beziehung nichts Schöneres, als tantrische Rituale miteinander zu erleben. Darauf und auf die prickelnden Seminarpausen zu verzichten und sich bis zum Seminarende zu kasteien, so kann tantrisches Leben und Lieben sicher nicht gemeint sein. Haben wir nicht alle viel zu viel Unterdrückung unserer Gefühle und Sexualität erlebt? Nach einem Seminar steht die Abreise an und für manche türmen sich dann Hunderte von Kilometern Distanz auf, während zauberhafte Tage ungenutzt vorbeistreichen sollen?
Aus eigenem Erleben weiß ich, dass das Leben oftmals größer ist als alle Regeln und Vorgaben zusammen. Ich selbst habe einmal meiner Vision gefolgt, junge Männer in Lust und Liebe einzuweihen. Gleich bei meinem ersten Liebesschüler bin ich schließlich hängen geblieben, obwohl ich für die zehn vereinbarten Einzelstunden absolut die tantrische Korrektheit eingehalten hatte.
Danach ist mir das Ganze aus den anständigen Händen geglitten und das schönste Märchen meines Lebens nahm seinen Lauf: Seit nunmehr 28 Jahren bin ich mit diesem Tantraschüler zusammen. Er ist nach einigen Jahren mein Ehemann geworden.
Das hätte ich früher absolut verurteilt. Und heute? „Wer es fassen kann, der fasse es,“ sagte Jesus einmal. Und dem schließe ich mich getrost an.
Hier ist die Geschichte der tantrischen Einweihung:
Die Vision der Tantralehrerin Regina Heckert, junge Männer nicht nur in Lust und Liebe einzuweihen, sondern auch noch von sexuellen Mangelerscheinungen wie Hautausschlägen und Migräne zu befreien, wurde wahr. Es gab da jemanden in ihrem Bekanntenkreis. Ihr gutes Werk heilte jedoch am meisten sie selbst. Sie erzählt hier das schönste Märchen ihres Lebens, in dem ihre Vision zum Erfüllungsgehilfen eines wohlmeinenden Schicksals wird.
(Ein Artikel von Regina Heckert, erschienen 2012 im Connection-Magazin)
Er kommt tatsächlich. Fast hüpft mir das Herz aus dem Hals. Jede Stufe, die er nimmt, lässt meinen Atem noch mehr beben. Immerhin erklimmt er vier Stockwerke. Für mich eine bange Ewigkeit. Was habe ich mir da nur angetan? Kann ich das überhaupt? Was, wenn ich großen Schaden anrichte? Seit Jahren verfolgt mich diese prickelnde Vision: Liebeslehrerin sein, junge Männer in Lust und Liebe einweihen, sie auf das größte und schönste Spiel auf Erden vorbereiten.
Ich habe keine Ahnung, wie das gehen soll. Und wenn es schiefläuft? Er hat noch nie Sex mit einer Frau gehabt. Seine Schritte kommen näher. Jemandem die Unschuld nehmen und etwas Heiliges zerstören – das kann so leicht passieren. Missbrauchte Frauen tauchen auf und zeigen sich mir als mahnende Fratzen, während sich inzwischen mein Herzschlag an seine rasenden Schritte angepasst zu haben scheint. Wie entjungfere ich einen Mann? O Gott, ich weiß es nicht.
Es war an einem einsamen mexikanischen Strand. Dort habe ich mehrere Wochen lang täglich fünf Stunden meditiert. „Wenn ich nach Hause komme, und M. noch keine Freundin gefunden hat, dann weihe ich ihn in Lust und Liebe ein, und helfe ihm, eine zu finden!“ Eine ganz stimmige Eingebung. Klar, kraftvoll, völlig rein und absichtslos.
Doch jetzt bekomme ich Atemnot. Das ganze Wochenende über habe ich gehofft, dass er den Termin absagt, damit ich noch einmal ungeschoren meiner eigenen Vision entrinnen kann. Seit vielen Jahren kenne ich ihn. Fast habe ich ihn aufwachsen sehen. Er ist ein wunderschöner junger Mann. Etwas schüchtern.
Text: Regina Heckert
Webseite: www.befree-tantra.de