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Nicht nur Wellness

Erstmal möchte ich „Schattenseiten“ nicht als „negativ“ bewerten. Sie gehören zu uns dazu und sind da, ob wir sie uns ansehen wollen oder nicht. Wir assoziieren Schatten als dunkel und bedrohlich, eben nicht im hellen Licht. Natürlich zeige ich mich nicht so gerne damit, weil ich Angst habe, damit bei anderen Menschen Ablehnung und Widerstände auszulösen. Ich möchte ja lieber gemocht und wertgeschätzt werden für meine „Lichtseiten“, wenn ich das mal als Polarität so nennen darf. 

Für mich gehören Schattenseiten zum Tantra dazu. Tantra ist ja nicht per se eine Wellness-Veranstaltung, in der wir uns schön massieren und alle gehen selig nach Hause. Tantra ist für mich allumfassend. Es gehören zum Seminar auch Themen wie Angst, Scham, Trauer, Wut etc. Das wird deutlich bei Fragen wie: Bin ich attraktiv genug, bekomme ich jemand Passenden bei der Partnerwahl ab, traue ich mich eventuell „Nein“ zu sagen, wenn es nicht passt, schäme ich mich für meine Sexualität / meine Lust / meinen Körper, darf ich mich so zeigen, wie ich bin, darf ich mich anderen zumuten? Wo lehne ich selbst andere ab und wo bewerte ich? Es werden viele innere Themen aufgezeigt, im Tantra oft noch mehr als bei anderen Selbsterfahrungsformen, da man sich hier teilweise noch ungeschützter als bei anderen Seminaren zeigt, denn Themen wie Nacktheit und Sexualität berühren einen sehr intimen Bereich. Man ist also quasi „doppelt nackt“. Und gerade das Feld der Sexualität ist oft angst- und schambesetzt. Aber gerade hier zeigen sich viele Themen und es ist eine gute Möglichkeit, Schatten erstmal sichtbar zu machen, anzunehmen und in Frieden damit zu kommen.

Die Gruppenleiterperspektive

Für mich als Gruppenleiter ist das natürlich eine besondere Herausforderung, denn es fordert auch mich, meine eigenen Schattenseiten zu kennen und mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Gefahr besteht, Schattenseiten im Seminar auszublenden, denn „Ich will ja daß es allen gut geht“. Und von mir selbst verdrängte Schattenseiten spiegeln sich oft in der Gruppe wieder. 

Wichtig ist mir, daß jede/r sich in der Gruppe zeigen darf, wie sie/er gerade da ist. Das heißt mit den Schattenseiten da sein zu dürfen, mit dem Vertrauen so sein zu dürfen wie er/sie gerade ist, mit dem Mitgefühl von TeilnehmerInnen und Leitung. Natürlich können, wenn Schatten den anderen zugemutet werden, wiederum deren Schatten hervortreten. Und ja, man geht dabei ein Risiko ein. Und wenn sich Menschen ihrer Schattenseiten nicht bewusst sind, können diese durch klare Rückmeldungen von anderen Teilnehmern überhaupt erst sichtbar werden. Und was sich zunächst schlimm und schmerzhaft anfühlt, ist ein großes Geschenk und kann ein wichtiger Schritt zur Reifung und Heilung sein. Natürlich geht es nicht um das blinde Ausagieren zum Schaden anderer. Aber diese Seiten bekommen ihren Platz, rücken ins Bewußtsein und werden zum Teil das erste Mal bei Licht betrachtet. Und ich schätze den tantrischen Weg dorthin mit Achtsamkeit und Bewusstheit. 

Text: Norbert Seipel

Webseite: www.prano-tantra.de

Schattenseiten gehören dazu
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Norbert Seipel

Norbert Seipel, Jahrgang 1965, hauptberuflich Sozialpädagoge im betreuten Wohnen, praktiziert seit 20 Jahren mit Freude Tantra und leitet seit 2011 selbst Seminare und Abende in Darmstadt (www.prano-tantra.de). Sein Hauptlehrer ist Saleem Riek (Schule des Seins), aber auch andere Anbieter haben ihn beeinflusst.

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