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Was mich wohl erwarten würde?

Ich bin auf dem Weg zu meinem ersten Tantra Seminar. Ein Freitagnachmittag im Januar, im Regen durch die halbe Stadt. Und dunkel ist es auch. Eine Freundin hatte mir empfohlen zum Tantra zu gehen. Ich sei soweit. Was auch immer das heißen sollte … Aber was soll bei so einem Seminar passieren?

Ich kenne dort keinen und weiß nicht auf was ich mich einlasse.

Beim Ankommen lauter offene und neugierige Menschen. Viele ahnungslos wie ich, denn es ist ein Seminar für Anfänger. Gemeinsam Essen, Begrüßungsrunde. Das ist schon alles. 

Am nächsten Morgen Meditation. Frühstück. Begegnungsübungen. Was haben die denn mit Tantra zu tun?

Mir kommen viele Gedanken an dem Tag. In den Übungen geht es um Erfahrungen. Mit mir selbst. Um Begegnungen mit Menschen. Was tut mir gut? Wo sind meine Grenzen? 
Der Leiter beeindruckt mich. Auch sein Team. Was für tolle Leute. Ich fühle mich klein und unwissend, doch sie behandeln mich wertschätzend und herzlich.

Es gibt viele Pausen. Erst viel später werde ich verstehen, dass sie dazu da sind, das Erlebte zu verdauen.  

Am Abend eine große Übung. Wir sollen uns selbst feiern. Ein Mann, eine Frau und ich. Wie soll ich das denn machen?

Die anderen beiden haben etwas Erfahrung. Der Mann fängt an. Er feiert sich durch Tanzen. Danach wünscht er sich, gestreichelt zu werden und dass wir ihm schöne Dinge sagen. Ich sage ihm, dass er eine schöne Ausstrahlung hat. Wir streicheln. Wir kuscheln. Sitzen hintereinander und liegen Löffelchen. 

In diesem Moment entsteht in mir ein Glücksgefühl und eine Freude steigt auf, die ich so nur aus meiner Kindheit kenne. Was passiert da? Wir liegen lange beisammen. Sind unglaublich glücklich und verbunden. Wie kann das sein? Ich kannte diese Menschen doch bis heute gar nicht? 

Am nächsten Tag bin ich immer noch am Schweben. Weitere Begegnungsübungen. Gegen Ende des Seminars beginnt eine Teilnehmerin zu weinen. All diese Menschen sind so wundervoll und sie fühlt sich so klein und minderwertig. Der Seminarleiter geht einfühlsam auf sie ein. Die ganze Gruppe von 40 Leuten lauscht. Wie peinlich denke ich. Doch dann verstehe ich, dass das Gespräch vor aller Augen uns allen zeigt, was wir in uns haben und wie ich damit umgehen könnte.

Der innere Kritiker. So nennt der Leiter das. 

Fast eine Woche schwebe ich nach dem Seminar durch den Alltag. Getragen von dieser wunderbaren Energie. Sowas gefunden zu haben …. Was für ein Geschenk. Alles andere verblasst davor.

Kaum zuhause suche ich ein neues Seminar und finde ein Angebot für ein Tagesseminar. Dort geht es etwas spiritueller zu und am Abend wird im Rahmen eines Rituals nackt massiert. Der Seminarleiter berührt mich tief mit seiner Präsenz, seiner warmen Ausstrahlung, seiner Weisheit und seinem Humor. Ich habe das Gefühl ich bin angekommen. Zu Hause. Was ich lebe und fühle und wie ich Sex habe. Das nennen andere Menschen tantrisch leben. Das Gefühl ist unbeschreiblich schön.

Ich belege in kurzer Zeit viele weitere Seminare und schwebe in dieser wunderbaren Energie der Begegnungen. Ich bin begeistert und denke so kann es weiter gehen. Die entdeckte Intensität an Wahrnehmung, Verbundenheit und Nähe genieße ich mit allem was ich bin. Und bin überzeugt so wird es bleiben. 

Dann jedoch passiert etwas Unerwartetes. Durch mein Leben komme ich in Situationen, in denen ich Angst bekomme. Erfahre emotionalen Schmerz. Entdecke Blockaden, Prägungen, Fluchtverhalten. Es sind Beziehungen zu anderen Menschen, mich öffnen und einlassen, in denen ich mich verletzlich und schwach fühle. Und das so heftig wie nie zuvor. Ich habe Angst vor Nähe.

Du kannst das Eine nicht ohne das Andere haben

Wie sagt ein Mentor von mir: Wenn Dein Empfinden feiner und intensiver wird, dann nicht nur bei den „schönen“ oder angenehmen Gefühlen. Du kannst das Eine nicht ohne das Andere haben.

Mein Leben ändert sich. Ich schließe Freundschaften mit Menschen mit ähnlichen Interessen und ähnlichem Bewusstsein. Meine Ehe geht zu Ende. Corona macht es mir unmöglich Seminare zu besuchen. Eine sehr schwierige Zeit. Meine Schattenseiten werden besonders dadurch getriggert, dass ich mich in zwei Männer verliebe und daraus keine Beziehungen werden. 

All meine Schmerzen wegen Eheaus und Liebeskummer lehren mich meine Muster an Erwartungen und Reaktionen, die mir nicht bewusst waren und mich hinderten, glückliche und erfüllte Beziehungen zu leben. Ich lerne einen Mann zu lieben, obwohl er nicht zu mir passt und vermutlich nie eine Beziehung möglich sein wird. 
Ich lerne, dass Schmerz an sich neutral ist und erst unsere Wertung ihn gut oder böse scheinen lässt. Ich lerne, dass selbst meine Vorstellung von Glück durch das Leben konditioniert ist und stelle alles in Frage, was ich je für selbstverständlich gehalten habe. Auch das Schöne. 

Ich erforsche, was fühlt sich für mich stimmig an jenseits von allen gesellschaftlichen Normen und den Erwartungen anderer. Ich entdecke völlig neue Möglichkeiten mich zu entscheiden und mein Leben zu gestalten. Und ich lerne zu akzeptieren, dass das Leben kein glücklicher Dauerzustand ist, sondern aus Höhen und Tiefen besteht und dass auch Tantra kein Zugang zu immerwährendem Glück ist, sondern ein Weg zu größerer Bewusstheit von allem was ist und besonders zu mir selbst. Zur Erkenntnis wie ich bin in allen meinen Aspekten. 

Ich verschließe die Augen nicht mehr und laufe nicht mehr weg, wenn es weh tut. Ich packe Tee und Kekse aus und lade Schmerz, Blockade, Flucht und Schuldzuweisung zu einem Picknick ein …

Ich lerne mir zu verzeihen, dass ich schwach bin, verletzlich und Angst habe. Ich lerne, dass die Liebe nicht fließen kann, solange ich gegen mich selbst kämpfe und nicht alle Aspekte von mir liebe. Und ich erlebe mehr und mehr, dass zu mir zurückkommt, was ich aussende. Ich sende Liebe aus so oft ich kann. 

Ich sorge für mich. Denn nun hat mich selbst lieben endlich denselben Stellenwert wie meine Kinder, mein Job und all die Pflichten, die früher wichtiger waren als ich. Selbst im Alltag spüre ich all die Muster auf, die mich hinderten, verbunden und glücklich zu sein. 

Und ich begegne den anderen Menschen wie auch mir selber mit mehr Geduld, viel mehr Verständnis und Mitgefühl. Und Liebe.

Text: Gina Katergara (Identität ist der Redaktion bekannt)

Webseite: https://www.joyclub.de/profile/3468391.gina_katergara.html

Auf dem Weg zu mir selbst
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