Der Tantriker im Werden – im Kampf mit dem was ist und werden soll.
Braucht das tantrische Tun überhaupt das Rituelle oder geht es auch ohne?
Ja! Unbedingt! Zur Präsenz, zur Heilung, zur Orientierung, zum Loslassen, zum Verinnerlichen und zum Energieaufbau. So lange, bis die Begegnung es nicht mehr braucht, weil sie keine mehr ist! Erlebte Polarität ist uns Auslöser allen Sehnens und aller Einheitsbemühungen. Es braucht einheitliche Möglichkeiten für Lernende, traditionell durch helfende Regelwerke Initiierender. Erreichte Einheit der Liebe aber bedeutet Regelfreiheit und entbehrt daher als beste Lösung jeglicher weiteren Reglementierung.
Es werde Licht – den Mond nicht benennen müssen
Eckhard Tolle zitiert die Bibel, den Koran, gibt viele Hinweise auf die Wahrheit in jeder Religion. Sie sind wie ein Fingerzeig auf den Mond, der als Finger nicht der Mond selbst ist. Zu erkennen, dass nicht der Finger selbst, sondern das Erkennen der Wahrheit hinter dem Tun hin zum Sein das Ziel sei, das kommt mir angemessen vor, um über das Ritual als das nach und nach überflüssige, wichtigste Mittel zum Wachstum zu beschreiben.
Try and error – so lange wir wachsen fehlen wir
Tantra benutzt wie viele andere spirituelle, gesellschaftliche, sportliche oder handwerkliche Bestrebungen das wiederkehrende, übende Element als Handlauf und Halteseil zum Erklimmen von unbekannten Gipfeln, aufdass ich nicht so leicht verunfalle, also sicherer ans Ziel komme, so lange ich noch nicht freihändig und aus eigener Kraft aufsteigen kann.
Mit Hinweisen und Regelwerken gehe ich dem destruktiv lauernden Ego weniger leicht auf den Leim. Innere Gebete und äußere Handlungen bekommen einen heilsamen Rahmen, aus dem sie nicht fallen, wenn innerer Schweinehund und äußere Störung dran schütteln.
Ein Trick – Das Ego rituell anweisen, um es temporär loszulassen
Ein Bewusstsein, schon Teil des Mondes, braucht keinen Finger mehr, der darauf zeigt, um sich dessen gewahr zu werden. Einheit und Verbundenheit in der Präsenz der Liebe kann verzichten zu benennen, Bahnen vorzugeben und zu kontrollieren was schon selbst in der Liebe aufgegangen ist und keine Dämonen und Widersacher mehr füttert.
Wer schon diesseitig lebt wie er jenseitig keine illusionäre Trennung mehr erfahren braucht, der kann auf rituelle Verbindung verzichten, so wie der bereits Gedankenlose kein Mantra mehr braucht, um sich bei der Stange zu halten.
Dies bedeutet, dass das Ritual sich selbst unnütz macht, sobald das Ego vor der wachsenden Erleuchtung zurückweicht und das Leben ganz automatisch und ohne Anstrengung „zu einem einzigen Ritual“ wird, indem dem Praktizierenden die Verbindung zu allem bewusst wird und er sich von ihr Leben läßt.
Sich selbst befehligen lernen – Regeln und Rituale als Tantrapolizei des Adepten
Wer aber noch kämpft und widerstrebt, nicht annimmt, zweifelt und verurteilt, noch denkt und rudert, statt ist und gleitet, der braucht in der Gefangenschaft der Polarität auch Regeln – auch Leitlinien, Fingerzeige, Hinweise oder Ordnungsorgane genannt. Wer Wortklauberei wie man Hilfsmittel noch benennen mag betreiben will, der stelle sie in die begonnene Reihe mit meinem Segen.
Das Ich im Du und Du in mir liebt auch ungeregelt so umfassend, dass sich tut was sich tun soll und einfach geschehen darf ohne Widerstand. Wer die Vergänglichkeit des irdisch-absoluten in seiner Wichtigkeit und Unwichtigkeit kompromisslos anerkennt, kann auch getrost die Regeln des Rituellen und Rituale als Ganzes zum Wegwerfen bereitstellen. Das Verbundene, das sich schon trägt, braucht keine Stützräder mehr, sie haben ausgedient. Was sollten sie auch stützen wollen, wo uns Einheit und Erleuchtung als Ziellinie gilt. Geschickt ist es, statt sie abschaffen zu wollen, nur denen verordnend zu vererben, die noch unerleuchtet sind, was bedeutet Üben zu müssen im Verbund der Liebenden zu funktionieren.
Es braucht Vorschriften für Menschen, die Verinnerlichung von „Liebe die kein Gegenteil kennt“ noch verfehlen. Wer aber nicht mehr verfehlt, der übt trotzdem mit, ohne dies zu beklagen. Er verzichtet darauf sich darüber trennend zu erheben, sonst wäre er nicht was er glaubt zu sein.
Kämpfer brauchen Regeln – Die Liebe braucht befreit nur noch sich selbst
Zusammentreffen brauchen immerzu Rituale, die verbinden und helfen draußen zu lassen was uns trennt. Nicht im Krieg, nur in der Liebe ist daher erst alles erlaubt. Wer Liebe noch nicht ist, muss sie anrufen lernen und wer Einheit noch nicht lebt, der darf sie rituell erleben, bis sie sein Leben ganz erfasst.
Das birgt einige Gefahren, durch die man in bester Absicht das Gegenteil dessen erreichen kann, als man erstrebt. Derjenige der Gebote egobezogen und emotional verfasst, zeigt dadurch allzu überdeutlich, wie sehr sie noch gebraucht werden, aber auch wie weit deren Benutzer und Verfasser noch von der Liebe entfernt sind, wenn sie dagegen rebellieren oder darauf bestehen müssen. Da wir verstrickte Menschen sind, kann auch die verbogene Regel selbst eine egoerschaffene und sinnfreie, ins Trennende führende sein.
Das Rituelle braucht das unpersönlich Spirituelle daher unentwegt, wenn es nicht regelroutinierten Schlaf der Schäflein oder den Tanz um das goldene Kalb, statt das erkennende Bewusstsein fördern will.
Liebe bedingt Freiheit – Regeln und Sicherheitsbestrebungen verlieren sich automatisch im Erwachsenwerden des Bewusstsein
Erwachsenwerden braucht oftmals den Widerstand des Nein, ehe ein Ja ein echtes ist. Sich im Widerstand gegen ein Regelwerk zu verstricken hat daher mit Erwachsenwerden viel, aber mit echtem Erwachen wenig zu tun, wenn kein liebender Schritt auch auf das Gegenteil zu passieren will, das alles einschließen darf was ist.
Im Einverstandensein mit dem was geschieht erst lösen sich Regeln und Übertritte ineinander auf und machen sich überflüssig wie das Ritual selbst. Stets braucht es im Einen das Bewusstsein des Anderen. Wird nichts mehr ausgeschlossen, so muss nichts mehr als störend eingeregelt werden.
Auf dem Marktplatz zu tanzen und zu meditieren – dem Andern dabei das Anderssein und Anderstun nicht nur zu gestatten, sondern es als Selbstverständlichkeit nicht einmal mehr als Störung zu bemerken, vereint Liebe und Freiheit in einer zwangfreien Regellosigkeit der Nichtverurteilung.
Die zweitbeste Lösung – Noch-Ego bedingt rituelle Klarheit statt kreativer Anarchie
Die Hingabe an einen erlösenden Zustand des spontanen Chaos in der Aufgabe aller Verantwortung mag als Alternative zur universellen Ordnung des Universums verlockend bleiben.
Tantra aber – nach viel rituellem Üben mit dem Universellen, flüssig und widerstandslos als reine Energiearbeit – überlebt das Rituelle als erleuchtete Endstation und entledigt sich seiner, weil keine Gedanken mehr dessen Existenz folgen müssen, so wie kein Mantra dem widerstandslosen, freien Geist dient und von der Stille abgelöst wird.
Tun wir also Ritual an Ritual als Zimbel der wachsenden Bewusstheit – am Ende ist das ganze Leben dann im besten Falle ein bewusstes in Liebe, ohne rituelle Wiederholung.
Willkommen Ritual mein Freund – bis zum Ende aller Regelnotdurft
Ja wir bleiben weiterhin und immerzu tantrisch Übende auf dem Weg, inmitten unserer Herausforderungen und selbstgemachten Wachstumschancen, auch aktuell mit (Hygiene)Regeln – diese gab es auch schon vor dieser (Pandemie)Krise – zumindest hoffe ich dies für uns.
Aus aktuellem Anlass aus tantrischer Sicht über den Umgang mit gesellschaftsrelevanten Themen (wie Corona) zu schreiben, wäre eine andere, umfassendere und im Außen überaus polarisierende Angelegenheit in der Auseinandersetzung mit denen die schon alles Wissen.
Daher darf es genauso gut unterbleiben, keine Unwahrheit wurde je wahrer umsomehr sie wiederholten und keine Wahrheit verschwindet in der Stille – im Gegenteil, gerade sie hat in der Stille der Anerkennung dessen was ist den größten Freund.
Freiheit – emotionsloses Folgenkönnen und Seinlassenkönnen zugleich
Soviel nur – Ja, wir können so frei sein uns – aus anderer Quelle als der Vernunft gespeist – selbst etwas zu befehlen ohne blinde Lemminge zu sein – im Gegenteil – der Tantriker weiß, dass er dann frei ist, wenn er widerstandslos durch die Dinge schreiten kann, um sein Ziel im weiteren Weg und dessen Herausforderungen zu erkennen.
Es geht nicht um Widerstand und nicht ums Gewinnen oder Überzeugen eines Gegners. Das will das Ego, aber nicht die Liebe – sie weiß, dass sie Alternativen hat, die im Inneren beginnen und – fernab vom äußeren Kämpfen mit Regeln, Gesetzen und Ansagen – mehr bewegen als mit unserem verletzten inneren Kind und verirrten Geist vorstellbar ist.
Bewusste Regelhüter – Wie würde die Liebe an meiner Stelle entscheiden?
Regeln und Rituale sind nur Werkzeuge, nicht der Mond. Wer sie führen darf läuft auch Gefahr sie zu missbrauchen. Sich selbst stets zu prüfen und auf dem Weg zu sein, ohne zu glauben es besser zu wissen als das göttliche Selbst, gibt die nötige Demut Regeln so zu vermitteln, dass sie sich selbst irgendwann überflüssig machen dürfen, wenn die Liebe an ihre Stelle tritt.
Aller gesellschaftskritischer Aufgaben zum Trotz ist modernes Tantra unpolitisch und nicht missionierend, sondern initiierend und befreiend, was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag. Disziplin und Freiheit sind keine Gegensätze, wo sie die Liebenden schon ohne Sorge geschehen lassen können. Lieben zu lernen braucht Eltern, die Wurzeln geben und dann Loslassen können, wenn die Zeit reif ist.
Das verantwortliche Umgehen mit Leitlinien und dem Leiten seiner Selbst ist ein Teil des erwachenden Selbstverständnisses als Teil des großen Ganzen.
Text: Michaela Faridéh, November 2020
Webseite: http://www.animatantra.de/