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Tantra als Nische zum Verweilen?

Führt Tantra ein Nischendasein?

Führt Tantra ein Nischendasein? Sollte Tantra endlich einen Platz in der Mitte der Gesellschaft einnehmen? 

Eine Gesellschaft, die offen ist für jenes heute praktizierte Neotantra, ist unbedingt beachtenswert. Es bedarf keiner Mitgliedschaft in geheimen Zirkeln oder das Einklinken in verborgene Webseiten, um sich über Tantra und dessen Angebote zu informieren. Doch damit fangen die Probleme der verschiedensten Auffassungen und Sichtweisen an. Allein der Begriff „Tantra“ ist sehr weit gefasst. Folglich herrscht viel Irrglaube und Missverständnis. Tantra als vordergründige Sinnesfreude, als Erweiterung sexueller Praktiken, als Anleitung zum „Liebe machen“, als Lebenshilfe, spiritueller Weg oder ein Weg zur inneren Freiheit gar?

Tantramassagen jedenfalls grenzen inzwischen in das Gebiet bezahlter erotischer Dienstleistungen hinein. Masseurinnen unterliegen dem Prostitutionsschutzgesetz und Gäste jener Massagestudios möchten lieber anonym bleiben. Somit sind die zahlreichen tantrischen Angebote so verschieden wie ihre Inhalte und Qualitäten und reichen formal vom Nischendasein bis zur Mitte der Gesellschaft.

Ich hatte das „Glück“ aus der Vielfältigkeit der Angebote eine Auswahl zu treffen, die mir mehr vermitteln konnte, als schnelle sexuelle Erfüllung für reichlich Geld. Ich hatte nie den Eindruck mich dafür in eine Nische verkriechen zu müssen. Oder doch?

Für mich fühlt sich ein solches Seminar inzwischen wie ein „nach Hause kommen“ an. Warum nur? Weil ich dort „Sein“ darf, mich für Emotionen nicht rechtfertigen muss, weil sich die Menschen achtsamer begegnen, Berührungen heilsam sein können, weil Gespräche ehrlicher und Schweigen ebenso ein Bestandteil des Zusammenseins ist wie tanzen, lachen, singen? Weil sich ein „nach Hause kommen“ eigentlich so anfühlen sollte! Da dies weitgehend so ist, weil nichts unterdrückt, nichts weggemacht werden muss, was sich zeigen will, ist Tantra für mich ein spiritueller Weg und Lebenshilfe geworden. 

Ist es dann nicht sogar gut, wenn Tantra mit solchen Angeboten eine Nische in der Gesellschaft besetzt? 

„Du hast so ein glückliches Lächeln“, sagte mir einmal eine Assistentin. Ich und glücklich lächelnd? Ich hätte nie für möglich gehalten, dass eine stille innere Freude bei mir äußerlich so sichtbar werden kann. Bin ich doch eher ein in sich gekehrter Mensch.

„Du bist so herrlich unkompliziert und hast einfach Spaß bei dem, was du tust“, gab mir ein Ritualpartner als Kompliment zu verstehen. Vielleicht ist Spaß nicht der richtige Begriff, aber ich genieße durchaus mit allen Sinnen. Diese Authentizität hat er wohl bemerkt.

Ja, solche Seminartage sind Auszeiten, wie Urlaub eben. 

Oh nein! Urlaub kann sehr anstrengend und stressig sein. Das Abarbeiten von Urlaubsplänen kann alles andere als sinnlichen Genuss bedeuten. 

Tantra nicht als Urlaub, sondern als Nische zum Verweilen? 

Welche Bedeutung hat dieser Nischenbegriff überhaupt? Zum Beispiel sind Nischenartikel  Produkte, die weit entfernt vom Mainstream bestimmte Bedürfnisse erfüllen und damit das Gesamtangebot bereichern. Könnte für tantrische Angebote zutreffen. In der Natur verhindern biologische Nischen, dass Lebensraum überbeansprucht wird, während an anderer Stelle unzureichend genutzte Reserven liegen. 

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist mit Nische ein geschützter Platz außerhalb der Konkurrenz gemeint, in der eine zwar beschränkte, aber gesicherte Existenz möglich ist. Günter Gaus (* 1929 in Braunschweig, † 2004 in Hamburg, Journalist, Politiker) charakterisierte sogar die Gesellschaft der DDR (* 1949, † 1990) als eine Nischengesellschaft! 

Je mehr ich über diesen Begriff „Nische“ nachdenke, umso unpassender erscheint es mir für das, was Tantra mit all seinen Angeboten und Facetten in der Gesellschaft ausmacht.

Richtig und wichtig erscheint mir hingegen, dass solche Orte und Angebote des „Sein dürfen“ geschützt werden vor dem Eindringen des unreflektierten Alltags. 

Wer schützt diese Orte? Wer bewahrt das Besondere? Einerseits können nur die Veranstalter selbst mit ihren Angeboten dafür Sorge tragen und andererseits können die Nutzer dazu beitragen. Wenn Stress, Hektik, Lärm, Reizüberflutung, Konkurrenzdenken und was den Alltag noch so belastet, „außen vor“ bleiben, dann kann Achtsamkeit, Sinnlichkeit und alles Mitmenschliche wachsen. 

Beim Nachdenken über einen solchen geschützten Raum stellt sich unwillkürlich ein bestimmtes Bild vor meinem inneren Auge ein. Das Bild eines Tempels! Wer einen Tempel betreten will, fällt nicht mit der Tür ins Haus. Und doch sind solche Orte für Rückzug und Besinnung mitten im normalen Leben einer Gesellschaft angesiedelt. 

Wobei der Begriff „Tempel“ von der Wortbedeutung aus lat. templum lediglich einen abgegrenzten Ort für rituelle Handlungen meint und nicht selten auch als Bildungsstätte geschätzt wird. In zahlreichen Kulturen berühren sich an diesem Ort die Götterwelt und die Welt der Menschen.

Passen diese Vorstellungen nicht recht gut auf tantrische Angebote? Ich meine ja. Mitten in der Gesellschaft verankert und doch auch ein besonderer Rückzugsort, ein geschützter Bereich zum „Sein dürfen“, zur Anbindung an etwas außerhalb unseres Seins, zur (Herzens-) Bildung, Andacht und Begegnung.

Dafür bedarf es keines speziellen Gebäudes, sondern eher eines virtuellen Tempels als Einladung zum „frei sein“, zum „anders sein“, zum „mutig sein“ dürfen. Vielleicht sogar irgendwie „zum fliegen“ können?

Text: Petra L. alias Ellinor Ehrhardt (Pseudonym)

Website: http://e.ehrhardt.pageonpage.com/

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