Sinnlichkeit und Gesundheit
Die Sinneslust gehört zum gesamtheitlich menschlichen Grundbedürfnis wie jedes andere Bedürfnis auch. Zum Beispiel: Nahrungsaufnahme und Ausscheidung, Bewegung und Interaktion mit einem Mindestmaß an Ausbreitungsraum, Schlaf und Unversehrtheit, sowie Gerechtigkeit und Freiwilligkeit. Alles andere sind Einschränkungen dieser Grundbedürfnisse menschlicher Lebensäußerung, wo diese Einschränkungen gewaltsam erzwungen werden ist es Folter.
Sinneslust als Menschenrecht
Die Sinnenlust, also auch die Sexualität wurde in der ersten Befreiung der Gesellschaft, der Französischen Revolution nicht gesondert benannt, sondern fand ihren selbstverständlichen Platz unter dem Begriff Freiheit, neben Gleichheit und Brüderlichkeit, was in der folgenden Zeit der westlichen Welt zu der erweiterten Charta der Menschenrechte geführt hat. Dieser Katalog von Menschenrechten, zu recht die Essenz eines humanitären Anspruches, enthält nun leider keineswegs ein Recht auf sexuelle Erfüllung, oder Befriedigung der Sinne, wiewohl er dennoch einen Anspruch auf Ganzheitlichkeit und Gesundheit des Menschen impliziert.
Betrachten wir den Menschen als eine harmonische Funktionseinheit von Physis und Emotion, sowie Ratio (Verstand), dann ist leicht zu verstehen, dass eine Störung dieser Harmonie zu einem Ungleichgewicht der Funktionen und letztlich zu Krankheiten führt.
Ein kranker Körper beherbergt keinen gesunden Geist und Seele, wenngleich der kognitive Verstand auch in einem kranken Körper zu exorbitanten Spitzenleistung in einem engen Spezialgebiet in der Lage sein kann. Eine kranke Seele, wird auch einen geschädigten Körper und verzerrten Geist haben und ein kranker Geist hat vielleicht einen relativ robusten Körper, aber eine kranke Seele.
Unsere Vorstellung von Gesundheit ist im Wesentlichen noch immer geprägt von der Definition, der Abwesenheit von Krankheiten und nicht von der Vollkommenheit der Funktionskreise. Natürlich kann ein Mensch auf seine Sexualität freiwillig verzichten, ebenso gut wie sie mit fehlender Beleuchtung ihres Autos sich entscheiden können eben nachts nicht zu fahren, dennoch wird in der Gesamtheit des harmonischen Gleichgewichtes bei fehlender Sexualität eine Deformation der Gesamtheit eintreten, auf allen drei Ebenen des Körpers, der Seele und des Geistes.
Die Lust wird immer noch viel mehr als eine verzichtbare Privatsache angesehen als zum Beispiel ein Organversagen. Über das private Wohlergehen hinaus wirkt sich eine gesellschaftlich repressiv unterdrückte Sexualität und Lust jedoch auch auf die Gesamtheit einer Gesellschaft aus, was sozialpolitisch längst erwiesen ist und an religiös fundamentalistischen Strömungen zu gemeingefährlichen, ja terroristischen Tendenzen führt.
Die sinnliche Sexualität ist in unserem heutigen medizinischen Heil- und Pflegebereich noch immer tabuisiert, wenngleich ihr förderlicher Einfluss von Niemandem mehr in Frage gestellt wird. Jeder Praktiker dessen kann noch immer, wie weiland Wilhelm Reich, öffentlich denunziert und kriminalisiert werden.
Tantramassage als ganzheitliche Körpertherapie
Vor dreißig Jahren habe ich die inzwischen weithin bekannte Tantramassage als sinnlich erotische Behandlung des Menschen entwickelt und vor zehn Jahren schließlich die Tantrische Sexualtherapie als ein psychotherapeutisches Verfahren etabliert. Diese Methode ist eine direktive Therapie.
Sie lässt den Betroffenen nicht allein im privaten Umfeld ohne Supervision experimentieren, sondern begleitet ihn – patientenzentriert – ins direkte Erleben seiner Sinnlichkeit und in die analytisch psychologische Aufarbeitung hinein zu einem entwicklungsbezogenen Internalisieren und Verändern seines Verhaltens. Unglückliche und gestörte Menschen erleben bei diesen körpertherapeutischen Behandlungen relativ bald eine beglückende Veränderung ihres Befindens und Empfindens, als auch eine gravierende Veränderung ihres äußeren Erscheinungsbildes.
Die Klimax der Sinneserfahrungen im ganzkörperlichen Orgasmus ist nicht länger ein Fremdwort, sondern wird zu einer, die Persönlichkeit tief verändernde, wiederholbaren Konstante im Leben, wenngleich sie für manche in fortgeschrittenem Alter das bisher gelebte Leben revolutionierend, als beunruhigend empfunden werden kann. Ich habe unzählige Frauen in meinen Behandlungen Glückstränen vergießen sehen, endlich ein lebenswertes Gefühl erfahren zu haben und weiterhin erfahren zu können, die gleichzeitig aber auch ein tiefes Bedauern ausdrückten oftmals ein halbes Leben ohne dem verschenkt gehabt zu haben.
Von der liebenden Nähe zur Ablösung in Freiheit
Eine solche Therapie erfordert von dem Therapeuten neben einem fundierten Wissen über Psychologie und Sexualität ein persönlich tiefes sich Einlassen auf die Patienten, das nicht wie in der klassischen Psychotherapie kognitiv distanziert hinter der intimen Körperbarriere stehen bleibt. Du bist mit deinem Patienten verbunden wie ein Geliebter mit seiner Geliebten. Kannst du deinen Patienten nicht lieben, verachtest ihn womöglich sogar, oder ekelst dich vor ihm, kannst du ihn auch nicht therapieren, wie immer professionell du dich verstellen magst. Das Herz deines Patienten entzieht sich einer heilsamen Symbiose mit dir zu Recht. Du kannst deinen Patienten nicht erreichen und er seinerseits versteckt sich vor deinen hilflosen Bemühungen, die ihn doch nicht wirklich meinen.
Diese Nähe, ja Liebe, zu deinem Patienten bürdet dir eine hohe Verantwortung auf, sein Bestes und nicht dein Bestes zu erlangen und du kannst dich aus dieser menschlichen Verpflichtung auch nicht vor der Zeit einer persönlichen Reifung deines Patienten entziehen, weil du keine Geduld oder Zeit mehr für ihn hast. Die Schutzbehauptung professioneller Helfer: „Wenn ich mich auf die Katastrophen, meiner Patienten einließe, würde ich daran zerbrechen“ zeigt nur dass sie selber für die menschliche Misere ihrer Patienten gar keine Lösung haben.
Die vorgebrachte Behauptung, dass durch eine so tiefe Nähe die entstandene Anhaftung nicht mehr zu lösen wäre ohne Schaden zu verursachen zeigt nur, wie wenig die klassische Psychotherapie in die sexuellen menschlichen Entwicklungsschritte forschend eingedrungen ist. Was sie nicht konnte, da sie sich selber den erkenntnistheoretischen Keuschheitsgürtel umgelegt hat, sich nicht in die intim, sexuell, libidinöse Erfahrungen einzulassen, also auch gar keine wirkliche wissenschaftliche Forschung in diesem Feld hat betreiben können. Die klassische Psychotherapie mit ihren theoretischen Erkenntnissen aus mündlichen Berichten und unkörperlichen Befragungen verhält sich etwa so, als wolle sie wie im Höhlengleichnis Platons die Wirklichkeit im Schatten an der Höhlenwand deuten.
Ablösung von Anhaftung geschieht ganz von allein dann, wenn das Erkrankte geheilt ist, gewissermaßen wie eine Frucht die reif vom Baum fällt.
Eine defizitäre Psyche muss so lange gefüttert werden bis sie satt ist. Eine noch unreife Persönlichkeit mag am Fütternden selbst dann noch anhaften, wenn sie gesättigt ist, so lange sie nicht erkannt hat, dass sie selbst verantwortlich für ihre Ernährung sorgen kann und frei ist, sich Nahrung zu suchen wo immer sie will.
Dies ist ein ganz natürlicher Ablösungsprozess wie es jedes Kind in seiner Entwicklung durchmacht, wenn es sich von der nährenden Mutter löst und selbstständig wird. An derlei gelungener Ablösung und Befreiung von Abhängigkeit fehlt es der überwiegenden Mehrheit der Patienten in ihrer eigenen Entwicklungsgeschichte. Das ist keine unverrückbare Tatsache, sondern ein Ansporn zum Nachlernen, das in vivo und nicht in vitro zu tun ist.
Daher habe ich als Therapeut zu meinen Patienten keinerlei Grenzen mich einzulassen, nur so können sie mich und meine Lehre auch wirklich begreifen im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann Gefühle nicht theoretisch erleben, sondern nur konkret. Gäbe es dieses konkrete Gefühlserlebnis nicht, befände sich der Psychotherapeut wie ein Chirurg am Operationstisch ohne Messer.
Die von mir entwickelten Tantramassagen mit Genitalmassagen, Analmassagen, Oralerfahrungen und Zwiegesprächen mit den Organen sind nur einzelne praktische Erfahrungsschritte im weiten Feld der orgasmischen Sexualität.
Der tiefere Hintergrund meiner Arbeit ist Tantra, wenngleich die einzelnen therapeutischen Schritte selber nicht Tantra genannt werden können, was oft verwechselt wird, ist Tantra doch die Befreiung der Sexualität und jedweder Sinnlichkeit aus den Zwängen von Beziehung, Tradition und Moral. Es ist die Befreiung der Lust aus dem triebhaft kurzsichtigen Umstand der Fortpflanzung hin zu einer energetischen Erleuchtung und Durchleuchtung des menschlichen Seins schlechthin.
Text: Andro (Andras Rothe), Redaktion: Tantranetz
Webseite: www.diamond-lotus.de
Literaturhinweis: Iris Paul-Feussner, Am Rande der Haut, Innenwelt Verlag